KARYA 1943. Zwangsarbeit und Holocaust
Deutsch-Griechische Wanderausstellung widmet sich erstmals dem Thema der Zwangsarbeit griechischer Juden unter deutscher Besatzung
Berlin, 04. September 2024 – Erstmals widmet sich eine Ausstellung in Deutschland und Griechenland dem Thema der Zwangsarbeit griechischer Juden unter deutscher Besatzung: „Karya 1943. Zwangsarbeit und Holocaust“ ist ab dem 5. September 2024 Im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit der Stiftung Topographie des Terrors in Berlin-Schöneweide zu sehen.
Karya ist heute ein verlassener Haltepunkt einer stillgelegten Bahnstrecke im Kreis Fthiodia in Mittelgriechenland, 250 Kilometer nördlich von Athen. 1943 müssen 300-500 jüdische Männer aus Thessaloniki an diesem Ort ein Ausweichgleis für Wehrmachtszüge bauen. Die Lebensbedingungen sind katastrophal, nur wenige überleben.
Ausgangspunkt der Ausstellung, die am 4. September im Beisein der Staatministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth, eröffnet wird, ist ein einzigartiger Quellenfund: Ein Fotoalbum des deutschen Ingenieurs Hanns Rössler, der im Auftrag der NS-Organisation Todt im Jahr 1943 Bauarbeiten an der Bahnstrecke Athen–Saloniki durchführen ließ. Die historische Fotosammlung, die rund 80 seltene Aufnahmen vom Einsatz der Zwangsarbeiter auf der Baustelle Karya enthält, gelangte 2002 in den Besitz des Sammlers und Forschers Andreas Assael, Sohn eines jüdischen Holocaust-Überlebenden aus Thessaloniki. Ihm gelang es, Zeitzeugen ausfindig zu machen und Einzelheiten des Einsatzes zu recherchieren. Im Rahmen der deutsch-griechischen Wanderausstellung wird das Material nun erstmals einer breiten Öffentlichkeit zugänglich macht.
Die Ausstellung ist das Ergebnis eines griechisch-deutschen Bildungsprojekts unter Federführung des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit in Kooperation mit der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, der Universität Osnabrück, dem Jüdischen Museums Griechenlands in Athen und der Aristoteles Universität Thessaloniki. Sie wird parallel in Berlin und Griechenland präsentiert.
Dieses bedrohliche Anwachsen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit basiert häufig auf rechtsextremen, völkisch-nationalistischen Vorstellungen von Politik und Gesellschaft, die mit revisionistischen Geschichtsbildern verbunden sind. Solche verzerrten und verfälschenden Geschichtsbilder weisen zum Teil neonationalsozialistische Schattierungen auf. Der besorgniserregende Erfolg rechtsextremer Parteien und Gruppierungen gefährdet unsere vielfältige Kultur- und Erinnerungslandschaft; und nicht nur das: Sie gefährden die Grundfesten unserer auf Menschenwürde, Diversität und Gleichberechtigung basierenden freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
Thüringen ist eines der Bundesländer, in denen diese Tendenz derzeit besonders deutlich zum Tragen kommt. Die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora ist daher nachhaltig darum bemüht, über den Geschichtsrevisionismus und seine Protagonisten aufzuklären und seine Mechanismen offenzulegen: https://www.geschichte-statt-mythen.de/klassische-mythen. Erst jüngst hat sich Stiftungsdirektor Prof. Dr. Jens-Christian Wagner intensiv mit entsprechenden Verlautbarungen etwa des AfD Politikers Björn Höcke auseinandergesetzt. Wir unterstützen dieses Engagement der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora für ein kritisch-reflektiertes Geschichtsbewusstsein und gegen jede Diskriminierung von Minderheiten. Gleichzeitig verurteilen wir die Angriffe auf Stiftungsdirektor Wagner aufs Schärfste. Es gehört zu den Grundaufgaben zeithistorischer Gedenkstätten und Erinnerungsorte, allen geschichtsrevisionistischen Bestrebungen entgegenzutreten und sich für die uneingeschränkte Geltung der Menschenrechte einzusetzen.
Im Auftrag der Unterzeichnenden
Oliver von Wrochem Axel Drecoll
Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte Stiftung Brandenburgische
Sprecher der AG der KZ-Gedenkstätten in Deutschland Gedenkstätten
Die Unterzeichnenden
Prof. Dr. Axel Drecoll, Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Leiter Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen / AG der KZ-Gedenkstätten in Deutschland;
Prof. Dr. Oliver von Wrochem, Sprecher AG der KZ-Gedenkstätten in Deutschland, Vorstand Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte / Leiter KZ-Gedenkstätte Neuengamme;
Thomas Altmeyer, Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945/Geschichtsort Adlerwerke: Fabrik, Zwangsarbeit, Konzentrationslager;
Dr. Nancy Aris, Sächsische Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur;
Burkhard Bley, Landesbeauftragter für Mecklenburg-Vorpommern für die Aufarbeitung der SED-Diktatur;
Prof. Dr. Frank Bösch, Direktor Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF);
Henning Borggräfe, NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln;
Prof. Dr. Marc Buggeln, Professur für Regionale Zeitgeschichte und Public History und Leiter des Instituts für Regionalgeschichte, Europa-Universität Flensburg;
Prof. Dr. Simone Derix, Lehrstuhl für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg;
Frank Ebert, Berliner Beauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur;
Andreas Ehresmann, Leiter der Gedenkstätte Sandbostel, Vorstand Verband der Gedenkstätten in Deutschland e. V. Forum der Gedenkstätten, Erinnerungsorte und -initiativen, Arbeitsgemeinschaften und Dokumentationszentren;
Henny Engels, Bundesvorstand LSVD⁺ – Verband Queere Vielfalt (Berlin);
Marlies Fritzen, Vorsitzende der Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten;
Dr. Michael Gander, Geschäftsführer Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht e.V.;
Prof. Dr. Jörg Ganzenmüller, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Sprecher der AG Gedenkstätten zur Diktatur in SBZ & DDR;
Marion Gardei, Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz;
Dr. Andrea Genest, Leiterin der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück, AG der KZ-Gedenkstätten in Deutschland;
Dr. Christine Glauning, Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit;
Prof. Dr. Neil Gregor, Department of Modern European History, University of Southampton;
Prof. Dr. Thomas Großbölting, Direktor der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg;
Dr. Elke Gryglewski, Geschäftsführerin Stiftung niedersächsische Gedenkstätten / Leiterin KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen, AG der KZ-Gedenkstätten in Deutschland;
Dr. Gabriele Hammermann, Stiftung Bayrische Gedenkstätten /KZ-Gedenkstätte Dachau;
Deborah Hartmann, Leiterin der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz
Dr. Helge Heidemeyer, Direktor der Stiftung Gedenkstätte Hohenschönhausen Berlin;
Prof. Dr. Kirsten Heinsohn, Stellvertretende Direktorin der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg;
Georg Hörnschemeyer, Vorsitzender Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht e.V.;
Kirsten John-Stucke, Leiterin Kreismuseum Wewelsburg, Vorstand Verband der Gedenkstätten in Deutschland e. V. Forum der Gedenkstätten, Erinnerungsorte und -initiativen, Arbeitsgemeinschaften und Dokumentationszentren;
Prof. Dr. Axel Klausmeier, Direktor der Stiftung Berliner Mauer;
Silke Klewin, Leiterin der Gedenkstätte Bautzen;
Prof. Dr. Habbo Knoch, Universität Köln;
Prof. Dr. Andreas Körber, Fakultät für Erziehungswissenschaft, Universität Hamburg;
Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für Politische Bildung;
Jonas Kühne, Sächsische Landesarbeitsgemeinschaft Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, Vorstand Verband der Gedenkstätten in Deutschland e. V. Forum der Gedenkstätten, Erinnerungsorte und -initiativen, Arbeitsgemeinschaften und Dokumentationszentren;
Prof. Dr. Birthe Kundrus, Universität Hamburg und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats Hamburger Gedenkstätten und Lernorte;
PD Dr. Katja Makhotina, Georg August-Universität Göttingen;
Dr. Sylvia Necker, Leiterin des LWL-Preußenmuseums Minden und des BIZ im Kaiser-Wilhelm-Denkmal;
Uwe Neumärker, Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas;
Birgit Neumann-Becker, Beauftragte des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur;
Dr. Maria Nooke, Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur;
Dr. Sylvia de Pasquale und Team, Leiterin Gedenkstätten Brandenburg an der Havel;
Dr. Markus Pieper, Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten;
Dr. Ines Reich, Leiterin Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße Potsdam
Dotschy Reinhardt, Zentralrat Deutscher Sinti und Roma;
Dr. Andrea Riedle, Direktorin der Stiftung Topographie des Terrors Berlin;
Prof. Dr. Miriam Rürup, Direktorin des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien (Potsdam);
Prof. Dr. Martin Sabrow, Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam;
Dana Schlegelmilch, Netzwerk NS-Kriegsgefangenenlager;
Dr. Harald Schmid, Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten, Vorstand Verband der Gedenkstätten in Deutschland e. V. Forum der Gedenkstätten, Erinnerungsorte und -initiativen, Arbeitsgemeinschaften und Dokumentationszentren;
Dr. Alexander Schmidt, Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände Nürnberg
Prof. Dr. Stefanie Schüler-Springorum, Direktorin des Zentrums für Antisemitismusforschung, Technische Universität Berlin;
Prof. Dr. Jörg Skriebeleit, KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, AG der KZ-Gedenkstätten in Deutschland;
Paul Spies, Direktor des Stadtmuseums Berlin;
Martina Staats, Leiterin der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel;
Dr. Rainer Stommer, Leiter Lern- und GeDenkOrt Alt Rehse, Vorstand Verband der Gedenkstätten in Deutschland e. V. Forum der Gedenkstätten, Erinnerungsorte und -initiativen, Arbeitsgemeinschaften und Dokumentationszentren;
Prof. Dr. Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand;
Prof. Dr. Christoph Martin Vogtherr, Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg;
Dr. Andreas Weigelt, Leiter der Gedenkstätte Lieberose in Jamlitz;
Prof. Dr. Annette Weinke, Historisches Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena;
Dr. Nicola Wenge, Leiterin Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg, Ulm, Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft „Gedenkstätten an Orten früher Konzentrationslager“ (AGGOK);
Stefan Wilbricht, Leiter KZ-Gedenkstätte Moringen, Sprecher für die Arbeitsgemeinschaft „Gedenkstätten an Orten früher Konzentrationslager“ (AGGOK);
Prof. i.R. Dr. Michael Wildt, Humboldt-Universität zu Berlin;
Prof. Dr. Andreas Wirsching;
Stefan Wunsch, Wissenschaftlicher Leiter der NS-Dokumentation Vogelsang;
Dr. Peter Wurschi, Thüringer Landesbeauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur;
Prof. Dr. Miriam Zadoff, Direktorin des NS-Dokumentationszentrum München;
Prof. Dr. Jürgen Zimmerer, Projektverbund „Forschungsstelle Hamburgs (post-)koloniales Erbe“
Michele Montagano (27. Oktober1921 - 4. August 2024)
nachruf
Von Daniela Geppert, August 2024
Am 4. August im Alter von 102 Jahren verstarb Michele Montagano in seiner Heimat Campobasso in Italien. Michele Montagano stand an einem Herbsttag 2013 vor dem Eingangstor in der Britzer Straße, zusammen mit dem Präsidenten des italienischen Opferverbandes der Kriegsheimkehrer (ANRP) und stellte sich vor als ehemaliger italienischer Militärinternierter (IMI) und Vizepräsident des ANRP. Wir kannten ihn noch nicht, durften aber nach dieser ersten Begegnung viele Jahre mit ihm zusammenarbeiten und sind sehr dankbar für seine stets unkomplizierte, unterstützende, wohlwollende und sehr humorvolle Art.
Doch zurück zum Anfang: Die Besucher erkundigten sich nach unserer Arbeit zu den italienischen Militärinternierten und Kooperationsmöglichkeiten zu dem Thema. Schnell stellten wir fest, dass wir uns einig waren über die Ungerechtigkeit der nicht erfolgten Entschädigung der IMI. Wir erfuhren, dass Michele sich viele Jahre für deren Entschädigung eingesetzt, an den Verhandlungen mit der Bundesregierung teilgenommen und dafür auch vorm Reichstagsgebäude demonstriert hatte. Das machte Eindruck. Am Ende des Besuches hatten wir uns zur Zusammenarbeit bei dem Ausstellungsprojekt verabredet und wir verabschiedeten uns fröhlich voneinander.
Im Verlauf der Arbeit an der Ausstellung lernten wir Michele Montagano dann besser kennen. Immer zu Scherzen aufgelegt und sehr charmant unterstützte er unsere Arbeit. Auch weil seine Geschichte der Gefangenschaft eine beispiellose war, entschieden wir, seine Biografie in der Dauerausstellung „Zwischen allen Stühlen. Die Geschichte der italienischen Militärinternierten 1943 – 1945“ zu zeigen.
Michele wurde am 27. Oktober 1921 in Casacalenda geboren. Nach dem Schulbesuch studierte er Rechtswissenschaften in Rom, bis er im Februar 1941 zum Militärdienst einberufen wurde. Im Rang eines Oberstleutnants wurde er am 8. September 1943 von deutschen Truppen in Gradisca d`Isonzo gefangen genommen. Bei Befragungen zur Rekrutierung von Freiwilligen für die SS und die faschistische Armee der neu gegründeten Sozialrepublik Italiens lehnte er eine Kollaboration stets ab. Für Michele Montagano begann damit eine mehrjährige Odyssee durch deutsche Kriegsgefangenenlager, zunächst in fünf Lagern auf dem Gebiet des Generalgouvernements, später in Sandbostel und Wietzendorf. Mittlerweile war er stark geschwächt durch den ständigen Hunger und Krankheit. Trotzdem beugte sich Michele Montagano nicht: Weder den fortgesetzten Anwerbeversuchen zur Kollaboration noch dem Versuch, ihn zur Arbeit zu zwingen: Im Februar 1945 sollte er zusammen mit anderen Offizieren auf dem Fliegerhorst in Dedelsdorf (Niedersachsen) Zwangsarbeit leisten. Die Gruppe weigerte sich, daraufhin wollte die Gestapo 21 von ihnen erschießen. Michele und einige andere boten sich aus Solidarität zum Austausch an. Die Gestapo entschied nach mehreren Stunden, die geplante Ermordung in eine Haftstrafe umzuwandeln. Michele kam daraufhin mit 43 weiteren Offizieren in das Arbeitserziehungslager Unterlüß. Dort musste er unter ständiger Prügel und fast ohne Essen schwerste körperliche Arbeit leisten. Aus der Gestapohaft wurde er am 9. April 1945 entlassen und versteckte sich bis zur Befreiung durch die britischen Truppen am 12. April 1945. Nach dem Krieg kehrte nach Hause zurück, studierte und arbeitete bei der Firma Shell, später bei der Banco di Napoli in Campobasso. 1955 heiratete er und bekam mit seiner Frau Rosa die Tochter Daniela und den Sohn Angelo.
Schon 1952 trat Michele Montagano für die Belange der ehemaligen italienischen Militärinternierten ein und engagierte sich im Opferverband der Ex-Internierten (ANEI), nach seiner Pensionierung 1973 verstärkte er sein Engagement und stritt mit der ANRP für die Schadensersatzzahlungen. Diesen Streit konnte er nicht gewinnen. Er machte aber bei zahlreichen Veranstaltungen auf das Schicksal der IMI aufmerksam. Auch im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit informierte er auf Abendveranstaltungen, bei internationalen Jugendbegegnungen und Schüler:innengesprächen unermüdlich über die IMI und seine persönliche Geschichte. Auf der Eröffnung der Ausstellung „Zwischen allen Stühlen“ im November 2016 führte er die damaligen Außenminister Italiens, Paolo Genitloni und Deutschlands, Frank Walter Steinmeier, durch die Ausstellung. 2019 erhielt er für sein unermüdliches Engagement das Große Bundesverdienstkreuz.
Wir denken mit großer Trauer und Dankbarkeit an Michele Montagano. Wir vermissen seinen moralischen Kompass, seinen Humor und seine Versöhnlichkeit. Unser tief empfundenes Beileid gilt seiner Familie.
Theodor Kocur (2. Oktober 1927 – 26. Juni 2024)
Nachruf
von Uta Fröhlich, Juli 2024
Am 26. Juni verstarb im Alter von 96 Jahren Theodor Kocur in Rochester, NY (USA). Theodor Kocur hatte als Zeitzeuge einen wichtigen Anteil an der Erarbeitung unserer Ausstellung „Batterien für die Wehrmacht – Zwangsarbeit bei Pertrix 1939-1945“.
Theodor Kocurs Name begegnete uns erstmals 2011 in einem Archivdokument. Kurz nach dem Krieg hatte das Polizeirevier in Berlin-Niederschöneweide auf Listen die Namen sowjetischer Zwangsarbeiter:innen aufgeführt, die während des Krieges in einem Lager der Firma Pertrix untergebracht waren – darauf auch mehrere Personen mit dem Namen Kocur. Nach dem Abgleich mit anderen Listen wurde klar: es handelte sich um eine fünfköpfige ukrainische Familie: Vater und Mutter, der 16-jährige Theodor und seine beiden jüngeren Schwestern Maria und Sonia. Weitere Recherchen brachten uns auf die Spur der Familie, die 1949 in die USA emigriert ist. 2014 konnten wir Theodor Kocur und seine Schwester Maria Kiciuk in Yonkers, NY besuchen und interviewen. Die Geschichte ihrer Familie spielt eine wichtige Rolle in der Ausstellung über Zwangsarbeit bei Pertrix. Sie ist aber auch ein bewegendes Beispiel für die von Flucht und Vertreibung gekennzeichnete Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Theodor Kocurs Eltern Theodor und Anna stammten beide aus der Ukraine und waren Anfang des 20. Jahrhunderts in die USA ausgewandert, wo sie sich kennenlernten und heirateten. Einige Jahre später kehrten sie in die Ukraine zurück. Mit dem in den USA verdienten Geld bauten sie sich eine neue Existenz auf. In dem Dorf Topilnyzja in der Westukraine bewirtschafteten sie einen großen Hof, Vater Theodor war zeitweise Bürgermeister des Ortes. Hier wurde 1927 auch Theodor jun. geboren. Die Gegend gehörte zu dieser Zeit zu Polen. Als Theodor 12 Jahre alt war, fiel sie jedoch in Folge des Hitler-Stalin-Pakts an die Sowjetunion. Die Familie wurde enteignet und musste den Hof verlassen, einige Verwandte wurden zur Zwangsarbeit nach Sibirien verschleppt.
Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion und der Eroberung der Westukraine 1941 kehrten die Kocurs auf ihren Hof zurück. Als sich im Frühling 1944 die Front wieder weit nach Westen verschoben hatte, entschloss sich die Familie im März 1944 zur Flucht. Sie wollten auf keinen Fall den sowjetischen Truppen in die Hände fallen, da sie Repressionen und Festnahmen fürchteten. In der Nähe von Uschhorod wurden sie jedoch von deutschen Truppen aufgegriffen. In Güterzügen wurden sie nach Strasshof bei Wien gebracht und von dort in ein Zwangsarbeiterlager in Linz. Der 16-jährige Theodor musste auf einem Bauernhof arbeiten. Ende 1944 wurde Theodor mit seinen Eltern und zwei Schwestern nach Berlin verschleppt. Auch hier wurden die Eltern und der mittlerweile 17-jährige Theodor zur Arbeit gezwungen. Ab Januar 1945 arbeiteten sie in der Batterienfabrik Pertrix in Niederschöneweide.
Am 22. Februar 1945 gelang der Familie die Flucht aus dem Lager durch ein Loch im Zaun. Es war erneut die Angst vor der näher rückenden Roten Armee, die sie zu diesem Schritt bewegte. Sie schafften es, sich bis nach Forchheim in Bayern durchzuschlagen, wo sie im April 1945 von US-Truppen befreit wurden. Vier Jahre verbrachten sie in einem Lager für Displaced Persons, bevor sie im Sommer 1949 endlich in die USA emigrieren konnten. Theodor Kocur wurde technischer Zeichner und gründete eine Familie.
Im Alter von 88 Jahren reiste er im Herbst 2015 nach Berlin, um an der Eröffnung der Ausstellung „Batterien für die Wehrmacht“ teilzunehmen. Seine Schwester Maria und einige ihrer Kinder begleiteten sie.
Mit großer Dankbarkeit erinnere ich mich an meinen Besuch in Yonkers und den herzlichen Empfang durch die Familien Kocur, Kiciuk und Daschler. Wir sind Theodor Kocur sehr dankbar, dass er seine Lebensgeschichte mit uns geteilt hat. Unsere Gedanken sind bei der ganzen Familie.
Zum 100. Geburtstag Walter Fankensteins
30. Juni 2024
Das Team des Dokumentationszentrums gratuliert Walter Frankenstein zum 100. Geburtstag!
Walter Frankenstein wurde am 30. Juni 2024 in Westpreußen geboren. Ab 1938 absolvierte er eine Ausbildung zum Maurer an der Bauschule der jüdischen Gemeinde Berlins. Eigentlich wollte er Architekt werden.
Mit seiner Frau überlebte er versteckt in Berlin. Die beiden Söhne wurden sie während dieser Zeit geboren. Die Familie emigrierte unter Schwierigkeiten nach Israel-Palästina, wo er 1948 im israelischen Unabhängigkeitskrieg kämpfte. Sechs Jahre später siedelten sie nach Schweden über, wo er bis heute lebt.
2020 war er zu einem Zeitzeugengespräch mit Schüler:innen bei uns im Dokumentationszentrum. Gut auf dem Foto hier zu sehen und passend zur WM: Er war und ist Herthafan.
Lagerstadt Berlin. NS-Zwangsarbeit in der Reichshauptstadt
Berlin History App
Ab sofort ist das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit mit verschiedensten Inhalten auf der Berlin History App vertreten.
Ausgehend von 18 über das gesamte Stadtgebiet verteilten Orten der NS-Zwangsarbeit sowie sieben Biografien von ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern wird dieses zentrale Element des NS-Terrors beleuchtet.
Mehr Lagerstandorte finden Sie in unserer Lagerdatenbank mit derzeit über 2.000 verifizierten Lagerstandorten.
Geplante Sonderausstellung „Befreiung der Berliner Zwangsarbeitslager“
Suche nach Fotos und Objekten
Das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit sucht für eine geplante Ausstellung zum Thema Befreiung von Zwangsarbeiter:innen in Berlin geeignetes Ausstellungsmaterial.
In der Sonderausstellung geht es um die Endphase des Krieges, den Moment der Befreiung von Zwangsarbeitslagern durch die Rote Armee sowie die unmittelbare Nachkriegszeit in Berlin.
Gesucht werden Objekte aller Art, die zivile Zwangsarbeiter:innen, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge kurz vor, während und nach dem Kriegsende abbilden. Auch Fotos von Straßen, Baracken und Fabriken oder Zeitungsartikel können Auskunft über diese Zeit geben. Besonders interessiert uns der Kontakt zwischen der deutschen Bevölkerung und den (ehemaligen) Zwangsarbeiter:innen während dieser Periode.
Wenn Sie oder Ihre Familienangehörigen solche Fundstücke besitzen und für die Museumsarbeit zur Verfügung stellen wollen - gerne auch im Rahmen eines Leihvertrags oder als Scan – freuen wir uns sehr über eine Kontaktaufnahme:
Simon Stöckle
030 6390 288 28
stoeckle(at)topographie.de
Suche nach Informationen zu Bauingenieur Hans Rössler (1905-1995)
Ausstellungsprojekt "Tödliche Zwangsarbeit in Karya" ab September 2024
Ein griechischer Nachkomme überlebender Juden aus Thessaloniki machte vor einigen Jahren in München einen einzigartigen Fund. Auf einem Flohmarkt stieß er auf eine historische Fotosammlung. Die Fotos, so stellte sich dank seiner Recherchen heraus, zeigen Abtragungsarbeiten eines Felsens in Karya an der Bahnstrecke Athen-Thessaloniki, der Hauptstrecke zur Ausplünderung des Landes durch die deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg.
Die circa 300 jüdischen Zwangsarbeiter kamen aus dem Ghetto in Thessaloniki und mussten in Karya unter anderem ein neues Gleis bauen. Viele waren aufgrund unmenschlicher Arbeit, Hunger und Gewalt rasch entkräftet und starben vor Ort. Die Überlebenden verschleppte die SS im August 1943 mit dem letzten Transport aus Thessaloniki nach Auschwitz.
Die Firma Überland führte im Auftrag der NS-Organisation Todt die Bauarbeiten am Bahnhof Karya durch. Der dort angestellte Bauingenieur Hanns Rössler (1905-1995) – gebürtig in Nürnberg und NSDAP-Mitglied – fotografierte und dokumentierte diese. Er ist mutmaßlich der Urheber und frühere Besitzer des gefundenen Fotoalbums.
Ausgehend von den bislang nicht publizierten Fotos der Zwangsarbeit jüdischer Männer an der Bahnstrecke wird aktuell unter Federführung des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit in Berlin eine multiperspektivische Wanderausstellung erarbeitet. Die geplante Ausstellung wird im September 2024 in Berlin und in Athen eröffnet und von dort in verschiedene deutsche und griechische Städte wandern. Die von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft und dem Bundesministerium der Finanzen geförderte Ausstellung soll bisher kaum wahrgenommene Aspekte der Geschichte der deutschen Besatzungsherrschaft, der Zwangsarbeit und des Holocaust in Griechenland vermitteln.
Dabei stehen vor allem die Opfer jüdischer Zwangsarbeit für die NS-Organisation Todt im Fokus. Darüber hinaus soll jedoch auch die Rolle des Ingenieurs und Fotografen Hans Rössler, der selbst auf einigen Fotos zu sehen ist, in den Fokus rücken. Zum ehemaligen NSDAP-Mitglied und Hauptgruppenführer der Organisation Todt liegen dem Dokumentationszentrum bisher kaum Informationen vor. Da er in Nürnberg geboren ist und nach dem Krieg wohl in Roth gelebt und dort auch verstorben sein soll, gehen die Historiker und Historikerinnen davon aus, dass in der Region jemand weiterhelfen könnte. „Gerne würden wir mehr über ihn erfahren, da er vermutlich einer der zentralen Akteure des Zwangsarbeitereinsatzes in Karya war. Auch sein Nachkriegsleben wäre von Interesse für uns“, sagt Dr. Iason Chandrinos vom Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit.
Sollten Sie weitergehende Informationen bzw. Hinweise über Leben und Wirken von Hans Rössler haben, wenden Sie sich mit einer Nachricht gerne direkt an das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin.
Kontakt:
Dr. Iason Chandrinos
Tel: +49 30 6390 288 06
chandrinos(at)topographie.de
Das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit trauert um Nadiya Slyesaryeva
Nadiya Slyesaryeva verstarb in der Nacht des 31. Dezember 2023. Das Team des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit ist bei Ihrer Familie und dankbar, dass Frau Slyesaryeva auch uns ihre Zeit gewidmet hat, zuletzt erst vor einem Monat bei einem Zeitzeuginnengespräch.
Nadiya Slyesaryeva wurde 1930 geboren. Den deutschen Einmarsch in die Sowjetunion erlebte sie in Dnipropetrovsk. Mit ihrer Familie wurde sie in das KZ Stutthof verschleppt, von dort weiter nach Berlin.
Frau Slyesaryeva musste bei einer Fliesenfabrik in Stettin Zwangsarbeit leisten. Gegen Kriegsende wurde sie nach Neubrandenburg verlegt, um dort schwere körperliche Arbeit auf einem Bauernhof zu verrichten. Nach der Befreiung ging Nadiya Slyesaryeva zunächst nach Polen und kehrte 1948 in die Sowjetunion zurück, wo sie Bauingenieurswesen studierte und a.u. beim Wiederaufbau des Donbas mitwirkte. Sie entwarf zahlreiche Straßen und Gebäude in Kyjiw.
Nach dem Angriffgriff Russlands auf die Ukraine floh sie 2022 nach Deutschland, wo sie seither mit ihrer Familie lebte.
Das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit trauert um Czesława Daniłowicz
Die ehemalige polnische Zwangsarbeiterin Czesława Daniłowicz ist am 18. November 2023 im Alter von 98 Jahren gestorben. Als Zeitzeugin trug sie maßgeblich zur Erforschung der Zwangsarbeit für die Batterienfabrik Pertrix bei.
Der erste Kontakt zu Frau Daniłowicz entstand bereits 2007, als sie zusammen mit ihrer Enkelin das Dokumentationszentrum besuchte. Im Rahmen der Recherchen zur Ausstellung „Batterien für die Wehrmacht – Zwangsarbeit bei Pertrix 1939–1945“ durfte ich dann im Sommer 2014 mit einem Filmteam nach Kożuchów in Polen fahren, um sie zu interviewen. Die Familie nahm uns herzlich auf, wir wurden mit reichlich Bigos, Fleisch und Kartoffeln bewirtet. Am zweiten Tag führten wir dann ein fünfstündiges Interview mit Frau Daniłowicz.
Czesława Daniłowicz wurde am 2. Oktober 1925 in einem Dorf bei Zamość geboren. Ihre Eltern hatten einen Bauernhof. Im September 1939 überfiel die deutsche Wehrmacht Polen. Zwei Jahre später starb die Mutter, und die 16-jährige Czesława musste den Haushalt führen.
Ende 1942 begannen die deutschen Behörden, die polnische Bevölkerung der Region Zamość in Sammellager zu verschleppen. Im Rahmen des „Generalplans Ost“ sollten sie „volksdeutschen“ Siedler:innen Platz machen und das Gebiet „germanisiert“ werden. Über 100.000 Pol:innen wurden vertrieben, viele von ihnen in Konzentrationslager deportiert. Andere wurden zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt – unter ihnen auch die 17-jährige Czesława Daniłowicz. Sie wurde der Batteriefabrik Pertrix in Berlin-Schöneweide zugeteilt.
An einer Maschine musste sie hochgiftiges Elektrolyt in Batteriehülsen füllen. Die polnischen Zwangsarbeiterinnen wurden von Berliner Jüdinnen im „geschlossenen Arbeitseinsatz“ eingearbeitet. Diese wurden dann nach und nach deportiert. Im Interview erinnert sich Czesława Daniłowicz: „Im ganzen Saal waren nur Jüdinnen. Drei Wochen lang arbeiteten wir dort zusammen. Und dann kamen sie und holten sie ab.“ Bis zum Kriegsende rechnete Czesława Daniłowicz damit, dass auch sie abgeholt würde.
Sie überlebte die gesundheitsschädliche Zwangsarbeit, den Hunger, die Bedingungen im Lager und die zahlreichen Luftangriffe. Nach der Befreiung durch die Rote Armee kehrte sie nach Polen zurück. Sie gründete eine Familie und bekam fünf Kinder.
Ihre Teilnahme an der Eröffnung der Petrix-Ausstellung im November 2015 musste sie leider aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig absagen. Ihre bewegende Rede trug dann meine 16-jährige Tochter vor. Die Rede endete mit den Worten „Das, was ich noch in Erinnerung habe, versuche ich meinen Enkeln und Urenkeln weiterzugeben. Ich wünsche mir und euch allen, dass sowas nie wieder vorkommt, nie wieder.“
Uta Fröhlich
In Gedanken bei den Opfern und ihren Angehörigen
Wir sind erschüttert über die terroristischen Angriffe der Hamas auf Israel.
Wir sind erschüttert, dass Menschen auf Deutschlands Straßen die Entführung und Ermordung von Jüdinnen und Juden feiern.
Wir verurteilen jegliche Form von Antisemitismus sowie die aktuellen Übergriffe auf Jüdinnen und Juden und ihre Einrichtungen auch in Deutschland.
In Gedanken sind wir bei allen Betroffenen, insbesondere den Opfern und ihren Angehörigen.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit.
Beginn der Sanierunsarbeiten von Baracke 3 und 4
Seit November 2023 laufen die Sanierungsarbeiten von Baracke 3 und dem noch unnutzbaren Teil der Baracke 4. Das Projekt wird von der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftliche Zusammenarbeit und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien finanziert.
Für die Gebäude sind angemessene Räume für unseren wichtigen Wachschutz und Haustechniker, Büros, Räume für unsere Sammlung und Bildung und nicht zuletzt einen Raum für unsere Gäste, in dem sie eine kleine Pause einlegen können geplant.
Die ersten Zeichen der Baustelle sind nun in Form von Baucontainern eingetroffen.
80. Jahrestag - Italienische Militärinternierte
Am 8. September 1943 wird der Waffenstillstand zwischen Italien und den Alliierten verkündet. In der Folge verschleppen die Deutschen Hunderttausende italienische Soldaten, etwa 50.000 überleben die Gefangenschaft nicht. Zum 80. Jahrestag thematisierte unsere Veranstaltung die Ereignisse und ihre Folgen. Mit Prof. Brunello Mantelli | Universität Turin, Prof. Nicola Labanca | Universität Siena, Virgilio Comberlato | Angehöriger eines Überlebenden und Moderation von Dr. Sara Berger | Fritz Bauer Institut Frankfurt am Main.
Launch des Bildungsportals NS-Zwangsarbeit
Das digitale »Bildungsportal NS-Zwangsarbeit« bündelt historische Informationen und pädagogische Materialien. Es entstand aus der Zusammenarbeit von 19 Lern- und Erinnerungsorten unter der Koordination des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit.
Anlässlich des Launchs des Portals am 22. Juni 2023 diskutierten Expert:innen über gegenwartsrelevante Bildungsarbeit zur NS-Zwangsarbeit. Eine bundesweite Aktionswoche vom 19.-25. Juni 2023 bot die Möglichkeit, an den jeweiligen Erinnerungsorten die vielfältigen pädagogischen Angebote kennenzulernen.
Rund 13 Millionen nach Deutschland verschleppte Menschen mussten zwischen 1939 und 1945 in allen Bereichen der deutschen Wirtschaft Zwangsarbeit leisten. Ihr Alltag war geprägt von einer strengen rassistischen Hierarchie. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der NS-Zwangsarbeit ist zentral für das Verständnis des Nationalsozialismus und schärft den Blick für aktuelle Verhältnisse, in denen Menschen ausgebeutet und ausgegrenzt werden.
Gespräch mit Ton Maas - Sohn eines niederländischen Zwangsarbeiters
Vom 24.-29. April 2023 veranstaltete das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Zusammenarbeit mit den Berliner Unterwelten einen fünftägigen Bildungsurlaub „Unter dem Deckmantel der Arbeit - Zwangsarbeit 1938-1945“. Vorträge zur Zwangsarbeit im Nationalsozialismus wechselten sich ab mit Exkursionen zu Orten der Zwangsarbeit in Berlin – wie der Flughafen Tempelhof, der Hochbunker an der Pallasstraße, die AEG im Berlin Wedding, die medizinische Versorgung im "Ausländerkrankenhaus Mahlow".
Am Mittwoch konnten wir den Niederländer Ton Maas mit seiner Schwester und zwei seiner Kinder zu Vortrag und Gespräch begrüßen. Der Vater Kees Maas lernte während der Zwangsarbeit 1943-1945 in Berlin seine deutsche Frau Martha kennen. Nach dem Krieg lebten sie in den Niederlanden und bekamen vier Kinder. Mit dem Tagebuch des Vaters, Briefen und Fotos schrieb Ton Maas nach intensiven Recherchen ein Buch, das unter dem Titel „Liefs uit Berlijn: Het dagboek van Kees Maas (1943-1945)“erschienen ist.
Das nächste Seminar "Unter dem Deckmantel der Arbeit. Zwangsarbeit 1938-1945"findet vom 25. - 29. September 2023 statt. Es gibt noch freie Plätze.
Deutsch-Griechische Jugendbegegnung „Tödliche Zwangsarbeit in Karya.“
30. März bis 6. April
Vom 30. März bis 6. April findet in Thessaloniki und Lamia der erste Teil einer deutsch-griechischen Jugendbegegnung „Tödliche Zwangsarbeit in Karya.“
Während der Woche beschäftigen sich die Studierenden von der Universität Osnabrück und der Aristoteles Universität Thessaloniki mit dem Thema Zwangsarbeit und Holocaust in Griechenland.
Im Rahmen des Projektes nehmen sie an der Prospektion, die von der interdisziplinären Arbeitsgruppe Konfliktlandschaften am historischen Ort Karya durchgeführt wird, teil. Sie führen lebensgeschichtliche Interviews mit Angehörigen der Überlebenden aus Karya und berichten über das Projekt in Schulen in Lamia.
Die Jugendbegegnung ist ein Teil eines größeren Ausstellungsprojektes, das in der Bildungsagenda NS-Unrecht von der Stiftung (EVZ) gefördert wird.
Wir trauern um Antje Vollmer, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages a.D.
Als Abgeordnete des Deutschen Bundestages hatte sich Antje Vollmer bereits seit 1984 für eine Entschädigung für ehemalige NS-Zwangsarbeiter und andere bislang nicht anerkannte Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung eingesetzt.
Antje Vollmer war neben dem früheren tschechischen Staatspräsidenten Václav Havel treibende Kraft für die Deutsch-Tschechische Versöhnungserklärung, die am 21. Januar 1997 in Prag unterzeichnet wurde.
Am 25. Mai 2009 nahm sie an einer Podiumsdiskussion anlässlich der im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit gezeigten Ausstellung "Im Totaleinsatz. Zwangsarbeit der tschechischen Bevölkerung für das Dritte Reich" teil (in der Tschechischen Botschaft Berlin). Titel: "Nach der Entschädigung der Zwangsarbeiter. Geschichte und Erinnerung im deutsch-tschechischen Verhältnis"
Eröffnung "Vergessen und Vorbei? Das Lager Lichterfelde und die französischen Kriegsgefangenen"
Am 27. Oktober 2022 eröffneten wir mit vielen Gästen unsere neue Sonderausstellung "Vergessen und vorbei? Das Lager Lichterfelde und die französischen Kriegsgefangenen", die Sie bis zum 31. Mai bei uns im Dokumentationszentrum Baracke 5 besuchen können.
Agnès Tanière, Tochter des ehem. französischen Kriegsgefangenen Joseph Baby, sprach stellvertretend für alle einst dort internierten Menschen. Thomas Guibert, Erster Botschaftsrat der Französischen Botschaft in Deutschland, wünschte sich, dass diese Ausstellung einst auch in Frankreich zu sehen sein wird und sicherte seine Unterstützung zu. Wie auch Dr. Klaus Lederer, der wiederum betonte, dass es keine Schlussstriche geben dürfte.
Die gesamte Veranstaltung wurde aufgezeichnet. Sie können sie in unserem YouTube-Kanal nachsehen.
Deutsch-Tschechische Jugendbegegnung 2022
Podcast Workshop mit Nora Hespers
Diesen Storytelling Podcast erarbeiteten die Schülerinnen und Schüler aus dem Gymnázium in České Budějovice und der Freien Waldorfschule Berlin-Südost. Die Jugendbegegnung dazu fand im Oktober 2022 im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit statt. Während des Projektes arbeiteten die Teilnehmenden mit den Interviews und setzten sich mit den Lebensgeschichten der ehemaligen Zwangsarbeitenden aus Tschechien auseinander. Das Projekt ist in Kooperation mit Živá paměť entstanden.
Credits:
Podcast Workshop und Produktion: Nora Hespers
Musik: Memoriam Michail (ID 1816) by Lobo Loco
Interviews mit Herrn Merta und Frau Jeníková: CeDiS
Geschichtsvermittlung Online?
Eine Handreichung zur digitalen Arbeit an Gedenkstätten
Im vergangenen Jahr hat das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit mit der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V. für die Multiplikatorenfortbildung „Geschichte weist in die Zukunft“ kooperiert.
Das Projekt wurde aus Mitteln von JUGEND ERINNERT durch die Stiftung EVZ gefördert. Am Projekt haben sich außerdem die Internationale Jugendbegegnungsstätte in Oświęcim/Auschwitz und die Gedenkstätten Augustaschacht und Gestapokeller e. V. in Osnabrück beteiligt.
Die Projektergebnisse wurden in der Handreichung „Geschichtsvermittlung Online? Eine Handreichung zur digitalen Arbeit an Gedenkstätten“ dokumentiert. In unserem Beitrag haben wir den Schwerpunkt auf biografisches Arbeiten im digitalen Raum gelegt.
Download Handreichung
Spendenaufruf des Hilfsnetzwerks für Überlebende der NS-Verfolgung in der Ukraine
Durch den Krieg in der Ukraine sind viele Menschen in große Not geraten. Unter den Leidtragenden sind auch Tausende von Überlebenden nationalsozialistischer Verfolgung. Sie brauchen jetzt mehr denn je unsere Hilfe.
Auf Initiative des Vereins KONTAKTE-KOHTAKTbI hat sich dafür im März ein Hilfsnetzwerk für Überlebende der NS-Verfolgung in der Ukraine gegründet. Es besteht mittlerweile aus mehr als 40 Initiativen, Stiftungen, Erinnerungsorten und Gedenkstätten in Deutschland, die sich mit NS-Verbrechen beschäftigen und teilweise langjährige Kontakte zu Überlebenden sowie zu Kolleg:innen und Kooperationspartner:innen pflegen.
Spendenaufruf
Mit Hilfe von Spenden möchten wir eine koordinierte und unbürokratische Unterstützung von ehemaligen NS-Verfolgten, ihrer Angehörigen und Partner*innen des Netzwerks realisieren. Weitere Informationen und das Spendenkonto finden Sie hier.
www.hilfsnetzwerk-nsverfolgte.de
Pressemitteilung, 17.03.2022 Pressemitteilung, 07.04.2022
Interview mit Leiterin Dr. Christine Glauning im Deutschlanfunk Kultur
20 Erinnerungsorte solidarisieren sich mit der Ukraine und sorgen sich auch um ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter
1. März 2022
20 Erinnerungsorte und Gedenkstätten aus dem bundesweiten „Vernetzungstreffen NS-Zwangsarbeit“ fordern ein Ende des russischen Angriffs auf die Ukraine. Die Solidaritätserklärung mit den ukrainischen Bürgerinnen und Bürgern - darunter auch ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter - finden Sie hier.
Wortlaut des Aufrufs
Wir sind tief bestürzt über die Eskalation der Situation und den russischen Angriff auf die Ukraine. Unsere Gedanken sind bei der ukrainischen Bevölkerung, unseren Kolleginnen und Kollegen, mit denen wir seit vielen Jahren vertrauensvoll zusammenarbeiten. Wir denken aber auch in großer Sorge an die hochbetagten ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, deren Leben nun wieder von Krieg und Zerstörung betroffen ist. Wir fordern ein Ende der Kampfhandlungen.
Ми глибоко стривожені ескалацією ситуації та нападом Росії на Україну. Наші думки з українським народом, нашими колегами, з якими ми ведемо довірливу співпрацю протягом багатьох років. Але ми також з великим занепокоєнням думаємо про колишніх примусових робітників похилого віку, життя яких тепер знову постраждало від війни та руйнувань. Ми вимагаємо припинити бойові дії.
Unterzeichnende aus dem „Vernetzungstreffen NS-Zwangsarbeit“
Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit
Dokumentationsstelle Pulverfabrik Liebenau e.V.
Denkort Bunker Valentin / Landeszentrale für politische Bildung Bremen
Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig
Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht
Gedenkstätte Lager Sandbostel
Gedenkstätte Breitenau
Gedenkstätte und Museum Trutzhain
Gedenkstätte Stalag 326 (VI K) Senne
Gedenkstätte ROTER OCHSE Halle (Saale)
Gedenkstätte Zuchthaus Brandenburg-Görden
Gedenkstätte für die Opfer der Euthanasie-Morde in Brandenburg an der Havel
Gedenkhalle und Bunkermuseum / Stadt Oberhausen
Geschichtsort Adlerwerke: Fabrik, Zwangsarbeit, Konzentrationslager
Geschichtswerkstatt Göttingen - Ausstellung "Auf der Spur europäischer Zwangsarbeit. Südniedersachsen 1939-1945"
Interviewarchiv "Zwangsarbeit 1939-1945. Erinnerungen und Geschichte" / Freie Universität Berlin
Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück
Museum Zwangsarbeit im Nationalsozialismus / Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora
NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
NS-Dokumentationszentrum München
Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“
Stiftung Hamburger Gedenkstätten / KZ-Gedenkstätte Neuengamme
Stiftung niedersächsische Gedenkstätten / Gedenkstätten Bergen-Belsen und Wolfenbüttel
Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945 e.V.
Passing Down, Passing On
Examining the Challenges of Transmission
10. - 14. Januar 2022
Wir sind sehr froh (in diesen schwierigen Zeiten) Teilnehmende des Projektes "Passing Down, Passing On" bei uns in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte begrüßen zu dürfen. 16 Gedenkstättenmitarbeiter:innen und Lehrer:innen aus Deutschland und Frankreich und ein Kollege aus dem Nationalen Museum der Geschichte der Ukraine im Zweiten Weltkrieg tauschen sich bei uns diese Woche über das Thema NS-Zwangsarbeit aus und entwickeln eine internationale Jugendbegegnung zusammen.
Das Projekt ist eine Kooperation mit der Gedenkstätte Internierung und Deportation in Compiègne, der KZ Mahn- und Gedenkstätte Langenstein-Zweiberge. Es ist Teil von #youngpeopleremember
Erinnerungsorte und Gedenkstätten solidarisieren sich mit „Memorial“
23. November 2021
Die russische Generalstaatsanwaltschaft hat ein „Liquidationsverfahren“ gegen Memorial International in Moskau eingeleitet. Die Verhandlung findet am kommenden Donnerstag, 25. November vor dem Obersten Gericht Russlands statt.
Der Solidaritätsaktion für „Memorial”, initiiert von der Stiftung Topographie des Terrors, schließen sich deutschlandweit Erinnerungsorte und Gedenkstätten an. Die Resolution und die Unterzeichnenden anbei.
Wortlaut der Resolution
Mit Bestürzung reagieren wir auf den Antrag der russischen Generalstaatsanwaltschaft, die Organisation „Memorial“ aufzulösen. Wir protestieren gegen den Versuch, die so wichtige Arbeit der Nichtregierungsorganisation für Menschenrechte und für die Aufarbeitung von Gewaltherrschaft in Geschichte und Gegenwart unmöglich zu machen.
Wir fordern die russischen Behörden dazu auf, das zivilgesellschaftliche Engagement von Memorial und anderen Organisationen sowie den internationalen Austausch nicht zu behindern.
Memorial hat sich seit 1992 mit unschätzbarem Einsatz für die Bürgerinnen und Bürger in Russland und darüber hinaus internationale Anerkennung erworben. Auch für die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland war und ist Memorial als breit aufgestellte und unabhängige Institution von großer Bedeutung. Vor allem die historische Aufarbeitung und dabei besonders die in der Sowjetunion verübten nationalsozialistischen Verbrechen stehen immer wieder im Fokus der Arbeit. Memorial hat unermüdlich für die Entschädigung von sowjetischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern gekämpft und setzt sich seit vielen Jahren dafür ein, ihnen und anderen NS-Opfern eine Stimme zu geben. Zahlreiche NS-Gedenkstätten und Erinnerungsorte haben gemeinsam mit Memorial immer wieder Projekte ins Leben gerufen und durchgeführt. Sie schätzen Memorial als glaubwürdige und wichtige Stimme, unter anderem in diversen Gremien von Gedenk- und Erinnerungsorten. Darüber hinaus steht Memorial über sein Archiv sowie seine Bibliothek und sein Museum mit vielen unserer Einrichtungen in regelmäßigem Kontakt.
Die so wichtige Arbeit von Memorial muss auf alle Fälle auch in Zukunft gesichert sein.
Erstunterzeichnende
Dr. Andrea Riedle, Direktorin der Stiftung Topographie des Terrors
Dr. Christine Glauning, Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit
Dr. Thomas Lutz, Leiter des Gedenkstättenreferats im Dokumentationszentrum Topographie des Terrors.
Welche Spuren hinterlässt Zwangsarbeit? Welche Bedeutung hat sie für uns heute?
Ergebnisse unserer Jugendbegegnung "Searching for Traces of Forced Labour"
Im Juli 2021 haben sich elf Freiwillige aus sieben unterschiedlichen Ländern auf die Spurensuche von Zwangsarbeit in ihren Heimatländern gemacht. Die Spurensuche stand im Vordergrund des digitalen Study Camps "Searching for Traces of Forced Labour", das schon zum zweiten Mal von der Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Zusammenarbeit mit dem Service Civil International Deutschland organisiert wurde.
Die Teilnehmenden haben sich mit der Geschichte von Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkrieges, aber auch mit den heutigen Formen der Zwangsarbeit beschäftigt. Innerhalb von zwei Wochen haben sie eine digitale Ausstellung erarbeitet, in der ihre Geschichten und Fotografien präsentiert werden.
Der letzte Zeitzeuge des Zwangsarbeiterlagers in Schöneweide
Nachruf auf Ugo Brilli
Das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit trauert um Ugo Brilli. Der letzte Überlebende des ehemaligen Zwangsarbeitslagers in Berlin-Schöneweide, in dem sich heute das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit befindet, verstarb am 17. Juni 2021 im Alter von 99 Jahren in seiner toskanischen Heimat.
Mit 21 Jahren beginnt für den toskanischen Bauer und Holzfäller Ugo Brilli eine zwei Jahre dauernde Leidenszeit als junger Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter. Im September 1943 tritt Italien aus dem Bündnis mit Nazi-Deutschland aus. Die Wehrmacht nimmt daraufhin italienische Soldaten gefangen, verschleppt sie ins Deutsche Reich und erklärt sie zu Militärinternierten.
Unter den insgesamt 650.000 Italienern ist auch der nur wenige Monate zuvor von Italiens Armee zum Militärdienst eingezogene Ugo Brilli. Der an der Grenze zu Slowenien stationierte Funker landet zuerst in einem Sammellager im brandenburgischen Luckenwalde. Von dort kommt er wie circa 30.000 Kameraden als Zwangsarbeiter nach Berlin. Zunächst muss er bei Siemens Trümmer räumen, später in einer Tischlerei arbeiten.
Ugo Brilli wird 1944 aus der Kriegsgefangenschaft entlassen. Er muss jedoch als ziviler Zwangsarbeiter in Berlin bleiben. Er wird im Zwangsarbeiterlager Nr. 40 in Berlin-Weißensee untergebracht. Dort besticht er den deutschen Koch der Lagerküche mit Zigaretten, die er auf dem Schwarzmarkt zum Beispiel gegen Brot eintauscht. Somit sichert er sich die vergleichsweise bessere Tätigkeit als Küchenhilfe und etwas mehr Essen für sich und einige seiner Kameraden.
Einen Bombenangriff auf das Zwangsarbeiterlager am 7. Mai 1944 überlebt er im Gegensatz zu 53 Italienern, die in den Splitterschutzgräben des Lagers sterben. Brilli vergisst diesen Tag Zeit seines Lebens nicht. „Bevor ich sterbe, will ich ein Andenken an diese armen Kameraden, die dort gestorben sind“, sagt er 2017 in einem Fernsehinterview.
Dieses Andenken gibt es seit Mai 2021. Auf Initiative von Ugo Brilli erinnert eine von der Pankower Gedenktafelkommission und dem Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit aufgestellte Informations- und Gedenktafel nun am ehemaligen Lagerstandort in Weißensee an die getöteten Kameraden Ugo Brillis. Er nimmt dieses neue, ihm so wichtige Erinnerungszeichen anhand von Fotos, die ihm davon geschickt werden, mit großer Freude wahr. Selbst zur Einweihung nach Berlin reisen, kann er nicht mehr.
Gleich mehrere Erinnerungen von Brilli gibt es in Schöneweide. Von Weißensee kommt Brilli Ende 1944 nämlich ins dortige Lager Nr. 75/76, dem heutigen Standort des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit. Er arbeitet erneut als Küchenhelfer.
Die letzten Kriegstage 1945 verbringt Brilli vor allem in einem der dortigen Luftschutzkeller. Nach der Befreiung durch die Rote Armee bleibt ihm zunächst nichts Anderes übrig, als in den Kellern der umliegenden Häuser nach Lebensmittelvorräten zu suchen, um zu überleben.
Von den Russen wird er nach Kriegsende noch zur Demontage in einer Fabrik außerhalb Berlins eingesetzt.
Im September 1945 kann Ugo Brilli, der nur noch 48 Kilogramm wiegt und schwer an Typhus erkrankt ist, schließlich zu seiner Familie in die Toskana zurückkehren. In der Heimat baut sich der ehemalige Militärinternierte ohne jegliche Entschädigung oder Anerkennung für seine Gefangenschaft in Deutschland ein neues Leben auf. Er arbeitet wieder im Wald, heiratet und bekommt zwei Kinder.
Später besucht er Deutschland und kehrt mehrfach an den historischen Ort ins ehemalige Zwangsarbeiterlager nach Schöneweide zurück. So spricht er am 7. Mai 2013 bei der Eröffnung der ersten Dauerausstellung „Alltag Zwangsarbeit 1938-1945“ über sein Schicksal. Seine Erinnerungen teilt er mit Schulklassen in beiden Ländern. Als Anerkennung für seinen wertvollen Beitrag zu einer gemeinsamen Erinnerungskultur in Deutschland und Italien erhält Brilli am 9. Dezember 2019 das Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland.
Nun ist Ugo Brilli, der letzte Zeitzeuge, der so scharfsinnig und pointiert über seine Leidenszeit als Gefangener und Zwangsarbeiter im Zweiten Weltkrieg erzählen konnte, mit 99 Jahren in Campi Bisenzio bei Florenz gestorben.
Einweihung des "Erinnerungsort Zwangsarbeit" in Kernen
Am Samstag, 29. Mai, fand die Einweihung der Mahnmale "Erinnerungsort Zwangsarbeit" statt. Bürgermeister Benedikt Paulowitsch eröffnete die Feier mit einem Grußwort. Anschließend sprach Dr. Christine Glauning vom Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit zum Thema "Mittendrin und außen vor. Zwangsarbeit in der NS-Gesellschaft". Daniel Schulz von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg informiert über die landesweite Gedenkstättenarbeit und der Historiker Dr. Uwe Reiff beleuchtet unter dem Titel "entrechtet – geknechtet – geächtet" die Zwangsarbeit in Kernen. Musikalisch umrahmt wird die Feier von "Duo Sept", bestehend aus den beiden Musikern Andreas Spätgens, Keyboard, und Andreas Mürdter, Saxophon.
Die Veranstaltung wurde aufgezeichnet und steht hier aber auch auf Youtube und Vimeo zur Verfügung.
Gedenktafel zum 77. Jahrestag des Luftangriffs auf Zwangsarbeiterlager in Weißensee
Vor 77 Jahren sind im Ortsteil Weißensee mehr als 50 italienische Militärinternierte bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen. Anlässlich des Jahrestages am Freitag, den 7. Mai, erinnern das Bezirksamt Pankow und das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit Berlin um 14 Uhr mit einer neu geschaffenen Informations- und Gedenktafel an die getöteten Italiener des Zwangsarbeitslagers Nr. 40 der „Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt“ (GBI).
Auf Initiative von Ugo Brilli (Campi Bisenzio/Italien) realisierten die Pankower Gedenktafelkommission und das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit die Aufstellung der Tafel am ehemaligen Lagerstandort in Weißensee (Darßer Straße/Ecke Nachtalbenweg).
Das GBI-Lager Nr. 40 bestand seit 1941 und wurde am 7. Mai 1944 bei einem Luftangriff der Alliierten getroffen. Dabei starben mehr als 50 italienische Militärinternierte in den Splitterschutzgräben des Lagers. Ausländische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene hatten keinen Zutritt zu Luftschutzbunkern. Ugo Brilli überlebte den Bombenangriff und konnte den Tod seiner Landsleute bezeugen. Der heute 99-Jährige war ab Ende 1944 im GBI-Lager Nr. 75/76 in Schöneweide untergebracht, dem heutigen Standort des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit.
Hintergrund:
Im September 1943 trat Italien aus dem Krieg aus. Die Wehrmacht nahm daraufhin alle italienischen Soldaten gefangen. Sie wurden nach Deutschland gebracht und zu Militärinternierten erklärt. So konnte ihre Arbeitskraft ohne Rücksicht auf die Genfer Konvention und die politische Situation in Italien ausgebeutet werden. Über 30.000 von insgesamt 650.000 italienischen Kriegsgefangenen kamen nach Berlin und wurden dort auf verschiedene Lager verteilt.
Kurzfilm »Karya 1943 – Tödliche Zwangsarbeit im besetzten Griechenland«
Die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit erinnern mit dem Kurzfilm »Karya 1943« an ein bisher kaum bekanntes Kapitel des Holocaust. Der Film beleuchtet die tödliche Zwangsarbeit jüdischer Männer in den Bergen Mittelgriechenlands an der Eisenbahnstrecke Athen – Saloniki 1943.
Vor 80 Jahren kapitulierte die Armee des Königreichs Griechenland vor der ins Land eingefallenen Wehrmacht. Es folgten Jahre der Ausplünderung, des Hungers und des Massenmordes unter deutscher Besatzung. Darunter fiel auch die nahezu völlige Vernichtung des jüdischen Lebens.
Nahe eines Dorfes in Karya sollte ein ebenes Ausweichgleis buchstäblich in den Felsen hineingeschlagen werden, um wartenden Zügen das Wiederanfahren zukünftig zu erleichtern. Die Arbeiten erfolgten unter großem Zeitdruck im Schichtbetrieb. Die etwa 300 jüdischen Häftlinge erhielten nur verschimmeltes Essen und kaum Wasser. Arbeitskleidung wurde nicht gestellt. Sadistische Vorarbeiter und Aufseher, Deutsche, Kroaten und Rumänen, prügelten auf sie ein.
Vor mehr als 15 Jahren erwarb der griechische Sammler Andreas Assael – selbst Sohn eines jüdischen Überlebenden – auf einem Münchner Flohmarkt ein Fotoalbum, das zahlreiche Aufnahmen der Zwangsarbeit in Karya zeigt. Es gelang ihm, Zeitzeugen zu finden und Einzelheiten des Einsatzes zu recherchieren. In Kooperation mit Andreas Assael arbeiten die Stiftung Denkmal und das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit nun an dem Konzept einer deutsch-griechischen Wanderausstellung, die 2023 in beiden Ländern eröffnet werden soll. Das Auswärtige Amt finanzierte 2020/2021 ein Pilotprojekt zur weiteren Erforschung des Verbrechens und zur Lokalisierung des Massengrabes in der Nähe der Baustelle.
Der Kurzfilm des Berliner Regisseurs Stefan Auch führt in dieses wichtige deutsch-griechische Versöhnungsprojekt ein.
Kontakt:
Dr. Ulrich Baumann, Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Tel: +49 (0)30 26 39 43 – 27, ulrich.baumann(at)stiftung-denkmal.de
Dr. Kay Kufeke, Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit, Tel: +49 30 6390 288 13, kufeke(at)topographie.de
Öffnung ab 18. März 2021 nach Vereinbarung
Unsere Ausstellungen können vorerst ab 18. März 2021 nach Terminvereinbarung besucht werden. Bitte wenden Sie sich auch gern kurzfristig an unseren Gästeservice unter 030-639028821 oder tresen-sw(at)topographie.de, der Sie gern berät. Der Service ist Montags bis Freitags von 10 - 18 Uhr erreichbar.
Weiterhin gibt es am Gelände des Dokumentationszentrums zwei Outdoorausstellungen, für die Sie sich nicht anmelden müssen:
Zwangsarbeit in Berlin 1938-1945
pOSTscriptum. "Ostarbeiter" im Deutschen Reich
Beide Ausstellungen sind jederzeit, unabhängig von Öffnungszeiten frei zugänglich.
Überarbeitung der Ausstellung "Alltag Zwangsarbeit"
ab 14. Oktober
Die Ausstellung "Alltag Zwangsarbeit 1938-1945" wird ab 14. Oktober in einzelnen Abschnitten überarbeitet. Ihr Besuch wird dadurch nicht beeinträchtigt. Lediglich einzelne Ausstellungskapitel werden nicht zugänglich sein. In der 1. Woche betrifft das den Bereich Prolog/Einführung.
Wir empfehlen zudem einen Besuch unserer Ausstellungen zu den italienischen Militärinernierten und unserer Sonderausstellung zur Archäologie der NS-Zwangslager in anderen Gebäuden.
Online-Ausstellung: Digitales Study Camp
Im August 2020 fand in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte das erste digitale Study Camp „Searching for Traces of Forced Labour“ in Kooperation mit dem Service Civil International Deutschland statt. Zwölf Teilnehmende aus Bangladesch, China, Deutschland, Italien, Mexiko, Sebien, Südkorea, Spanien, aus der Türkei und Ukraine gingen in ihren Heimatländern auf Spurensuche: Zur Zwangsarbeit im Zweiten Weltkrieg, aber auch zu heutigen Formen der Zwangsarbeit. Innerhalb von zwei Wochen haben sie eine digitale Ausstellung erarbeitet, in der ihre Geschichten und Fotografien präsentiert werden.
Foto-Workshop im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit
6. – 8. November 2020
» Fotografieren lernen
» Geschichte begreifen
» mit Bildern erzählen
Der Workshop lädt ein, sich fotografisch mit dem Thema NS-Zwangsarbeit zu beschäftigen und den Umgang mit einer digitalen Spiegelreflexkamera zu erlernen. Der historische Ort des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit - ein ehemaliges Unterkunftslager für Zwangsarbeiter*innen - steht im Mittelpunkt der fotografischen Spurensuche. Die Teilnehmenden finden an diesem besonderen Ort eigene Motive und gestalten Bilder. Ziel ist es, über die inhaltliche und fotografische Auseinandersetzung eine eigene Geschichte zu erzählen.
Anmeldung bis 2. November 2020: kuby(at)topographie.de
Der Workshop ist auf 8 Personen begrenzt.
Digitale Angebote
Fotos analysieren und verstehen
Ab 9. Klasse (alle Schultypen), Erwachsene
Fotos von Zwangsarbeiterinnen oder Zwangsarbeitern zeigen oft gepflegte, lächelnde Menschen und widersprechen damit den Erwartungen an Opferfotos. In diesem Workshop setzen sich die Teilnehmenden kritisch mit Fotos als Quelle zur NS-Geschichte auseinander. Eingesetzt werden Methoden wie die klassische Bildinterpretation sowie die „segmentelle Bildanalyse“.
Die Referierenden moderieren durch das Onlineseminar. In virtuellen Räumen können die Teilnehmenden gelernte Analyseverfahren in Kleingruppen selbst ausprobieren und ihre Ergebnisse dann der Gesamtgruppe in Kurzvorträgen zur Diskussion stellen.
Wiederöffnung der Dauerausstellungen am 20. Mai 2020
Die Ausstellungen „Alltag Zwangsarbeit 1938-1945“ und „Zwischen allen Stühlen. Die Geschichte der italienischen Militärinternierten 1943-1945“ sind mit Einschränkungen für Besucherinnen und Besucher dienstags bis sonntags 10-18 Uhr geöffnet.
Die Leiterin Dr. Christine Glauning:
„Wir freuen uns sehr, wieder Gäste in unseren Ausstellungen begrüßen zu dürfen. Gleichzeitig bitten wir um Verständnis, dass es Einschränkungen beim Ausstellungsbesuch geben wird und zum Beispiel Touch-Screens nicht benutzt werden können. Zudem ist der Zutritt zu den historischen Baracken nur für eine begrenzte Besucherzahl und nur mit Mund-Nase-Schutz gestattet. Wir wollen die Sicherheit und Gesundheit unserer Gäste und unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schützen. Trotzdem gibt es für die Besucherinnen und Besucher in den Ausstellungen zahlreiche Fotos, Dokumente, Biografien und Wandprojektionen zu sehen.“.
Maximal dürfen sich in den Räumen und auf dem Gelände aufhalten:
- 30 Personen „Alltag Zwangsarbeit 1938-1945“
- 15 Personen „Zwischen allen Stühlen. Die Geschichte der italienischen Militärinternierten 1939-1945“
- 50 Personen auf dem Außengelände des Dokumentationszentrums
Das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit öffnet ab Dienstag, 12. Mai 2020 das Außengelände
Das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit öffnet wieder ab Dienstag, 12. Mai, das historische Gelände des ehemaligen NS-Zwangsarbeitslagers. Der Zugang ist vorerst für maximal 50 Besucher*innen unter Einhaltung der Abstandsregeln beschränkt. Von Dienstag bis Sonntag, 10-18 Uhr, können sich Besucher*innen im weitläufigen Außengelände über die Geschichte des Zwangsarbeitslagers Berlin-Schöneweide informieren.
Die Ausstellung der Berliner Regionalmuseen „Zwangsarbeit in Berlin 1938-1945“ ist unabhängig von den Öffnungszeiten am Außenzaun zur Britzer Straße ohne Beschränkung weiter zugänglich.
Der Termin für die Wiedereröffnung der beiden Dauerausstellungen wie auch die Eröffnung der geplanten Sonderausstellung „Ausgeschlossen. Archäologie der NS-Zwangslager“ wird rechtzeitig bekannt gegeben.
Das aktuelle Online-Projekt zur Befreiung der Lager in Berlin wird kontinuierlich bis Ende Mai mit neuen Informationen und Stimmen von überlebenden Zwangsarbeiter*innen erweitert: https://www.zwangslager-berlin-1945.de/
Ergebnis des Podcastworkshops „Geschichte(n) im Ohr, Bilder im Kopf“
Im Februar fand bei uns im Dokumentationszentrum der viertägige Podcast-Workshop „Geschichte(n) im Ohr, Bilder im Kopf“ statt. Xenia und Florian beschäftigten sich mit dem Thema Zwangsarbeit im Nationalsozialismus, befragten Besucher*innen und sprachen mit Corinne Douarre, Tochter eines französischen Zwangsarbeiters, über musikalische Erinnerungsarbeit.
Das Ergebnis ihrer Aufnahmen können Sie sich hier anhören.
Zaunausstellung: Zwangsarbeit in Berlin 1938-1945
Wir dürfen derzeit keine Gäste in unsere Ausstellungen lassen, also bringen wir eine Ausstellung zu den Gästen. Ab 13. April ist die Ausstellung "Zwangsarbeit in Berlin 1938-1945" am Zaun des Dokumentationszentrums Ns-Zwangsarbeit entlang der Britzer Straße.
Wer waren die Menschen, die in Berlin Zwangsarbeit leisten mussten, woher kamen sie und unter welchen Bedingungen mussten sie leben und arbeiten? Wer waren die Profiteure und wer organisierte und verwaltete den Zwangsarbeitseinsatz? Wie war das Nachkriegsschicksal der Überlebenden? Welche Spuren hinterließ der massenhafte Zwangsarbeitseinsatz im Berliner Stadtraum und in der Erinnerung der Berliner Bevölkerung? Diesen und anderen Fragen geht diese Ausstellung nach, die auf der Grundlage der regionalen Forschungen von elf Regionalmuseen und Einrichtungen 2002 erarbeitet wurde.
Onlineprojekt: Zu Ende aber nicht vorbei. NS-Zwangslager in Berlin 1945
Als die Stadt Berlin am 2. Mai 1945 vor der Roten Armee kapitulierte, hielten sich circa 370.000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter im ganzen Stadtgebiet auf. Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge und so genannte Zivilarbeiter*innen. Die meisten befanden sich bei Kriegsende noch an ihren Einsatzorten und in den Lagern. Die Wochen im April und Mai 1945 waren geprägt von Hunger, Verzweiflung, Angst, Widerstand und Hoffnung.
Viele ehemalige Zwangsarbeiter*innen aus West- und Südeuropa konnten noch im Sommer 1945 alleine oder mithilfe der Rückführungstransporte der Alliierten in ihre Heimatländer zurückkehren. Andere Befreite versuchten, sich der Rückführung zu widersetzen. Besonders in der Sowjetunion standen die Rückkehrenden lange unter dem Verdacht des Verrats und der Kollaboration mit den Deutschen.
Die Geschichte der Befreiung der NS-Zwangslager in Berlin ist bis heute nicht umfassend aufgearbeitet. Wir nehmen den 75. Jahrestag zur Erinnerung an das Kriegsende zum Anlass, den Blick auf die ehemaligen Zwangsarbeiter*innen zu richten. Wie haben sie die letzten Kriegswochen erlebt? Wie sah der erste Kontakt zu den Alliierten aus? Was geschah mit den befreiten Lagern?
Auf unserem Blog zwangslager-berlin-1945.de dokumentieren wir Zeitzeugenberichte, Tagebuchauszüge, Briefe und Erinnerungen aus dem Berliner Stadtgebiet.
Informationen finden Sie auch auf unseren Social Media Kanälen unter #Zwangslager1945 #75Befreiung
Schließung ab 13. März
Liebe Besucherinnen und Besucher,
das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit bleibt wie alle Berliner Gedenkstätten aus aktuellem Anlass vom 13. März bis auf weiteres geschlossen.
In diesem Zeitraum können leider auch keine öffentliche Führungen und Veranstaltungen stattfinden.
Wir bitten um Ihr Verständnis.
Bleiben Sie gesund!
Dr. Christine Glauning (Leiterin) und das Team des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit
Zum Tod von Vera Friedländer
Am 25. Oktober 2019 verstarb die Zeitzeugin Vera Friedländer im Alter von 91 Jahren. Die Nationalsozialisten hatten die Berlinerin als „Halbjüdin“ verfolgt. Als 16-Jährige musste sie in verschiedenen Betrieben Zwangsarbeit leisten, u.a. in einer Schuhreparaturwerkstatt der Firma Salamander in Kreuzberg.
Später engagierte sich die Germanistin und emeritierte Professorin für die Aufarbeitung der Zwangsarbeit. Noch in diesem Jahr war sie erneut im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit zu Besuch und sprach mit Jugendlichen über ihre Verfolgungsgeschichte.
Frau Friedländers Stimme wird fehlen. Sie verstand es, dass Menschen ihr zuhörten und über ihre Worte nachdachten. Auch uns, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Dokumentationszentrums, haben ihre Besuche geprägt.
Archäologisches Sommercamp
26. August 2019
Unter Anleitung und Begleitung durch Mitarbeitende des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum waren die Teilnehmenden unseres derzeitigen Sommercamps für Archäologie mit dem SCI Deutschland Ende letzter Woche in Treuenbrietzen. Auf dem Gelände des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers haben sie Ausgrabungen vorgenommen. Inzwischen sind die Funde bei uns im Dokumentationszentrum angekommen. Die Campteilnehmenden recherchieren in den kommenden Tagen die Hintergründe der Funde. Dies dient der Vorbereitung der Ausstellung „Archäologie der Zwangslager“, die ab April 2019 im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit gezeigt wird.
Gleichzeitig wird die Arbeit wird von einem Filmmacher begleitet. Gemeinsam mit diesem entwickeln die Jugendlichen ein Konzept für den Film, der Teil der geplanten Ausstellung wird, und können aktiv an seiner Erstellung mitwirken.
GE-SCHICHTE_N. Eine partizipative Installation von Jolanda Todt
21. August - 27. Oktober 2019
Die Installation GE-SCHICHTE_N der Künstlerin Jolanda Todt lädt Besucherinnen und Besucher ein, sich mit der deutschen Besatzung in Polen 1939–1945 zu befassen – Geschichte buchstäblich anzufassen. Das Kunstwerk besteht aus 60 Betontafeln, auf die verschiedene Materialien aufgetragen sind: moderne Fotografien, historische Dokumente sowie Auszüge aus einem Zeitzeugeninterview. Jede Betonplatte eröffnet einen anderen Zugang zur Geschichte. Die Bruchstücke können sich mit individuellem Vorwissen und Assoziationen verbinden. Nur durch genaues Analysieren der Materialien erfahren die Besucherinnen und Besucher, dass sich in der ausgebreiteten Geschichte auch eine persönliche Geschichte verbirgt. Umso mehr sich die Besucherinnen und Besucher mit dem Material auseinandersetzen, desto enger wird der Rahmen innerhalb dessen die Informationen gedeutet werden können.
Begleitprogramm
Kofferarchive – How to piece things back together | Bereits ausgebucht
1. September | 15-19 Uhr
Interdisziplinärer Storytelling-Workshop (auf Deutsch und Englisch) mit Jolanda Todt und
dem Schriftsteller Rafael Cardoso („Das Vermächtnis der Seidenraupen“, S. Fischer Verlage)
Jolanda Todt und Rafael Cardoso werden die Arbeiten zu ihren Familiengeschichten vorstellen und sich mit den Teilnehmenden auf die Suche nach den schwarzen Löchern in den persönlichen Familienbiographien machen. Sie ermutigen dazu, sich diesen blinden Flecken zu nähern und so einen Impuls zu eigenen Forschungen und künstlerischen Arbeiten zu geben.
Die Teilnehmenden sollen hierzu Ungereimtheiten und Fragezeichen zur Geschichte der Familien in der NS-Zeit in Form von Dokumenten oder Fotografien mitbringen.
Rafael Cardoso fand auf dem Dachboden seiner Großeltern in São Paulo/Brasilien zufällig einen Koffer mit Briefen und Dokumenten seines Urgroßvaters: Hugo Simon war Bankier, enger Berater von Samuel Fischer, Besitzer von Munchs »Der Schrei«; Freund Albert Einsteins und Alfred Döblins, der ihn in einem Roman verewigte. Cardoso selbst veröffentlicht die ihm bis dahin unbekannte Geschichte in seinem Buch „Das Vermächtnis der Seidenraupen“ bei den S. Fischer Verlagen.
Jolanda Todt erforschte die Geschichte ihres Urgroßvaters: Alfred Todt, ab 1934 Reichshauptstellenleiter der NSDAP, Leiter der Abteilung M der NSDAP, SS-Mitglied. Nach der Besetzung Polens war er ab Februar 1940 Landrat und NSDAP-Kreisleiter im Landkreis Łask. Als Mitglied der SS wurde er 1942 zum Kriegsdienst in die Waffen-SS eingezogen. Aus gesundheitlichen Gründen als ungeeignet eingestuft und als Fürsorgereferent eingesetzt. Er blieb bis 1945 Landrat in Łask.
SCHATTEN GE-SCHICHTE_N
8. September | 15-19 Uhr
Der Zweite Weltkrieg im Familiengedächtnis
Künstlerischer Storytelling-Workshop mit den Künstlerinnen Adi Liraz und Jolanda Todt
Die Künstlerinnen möchten die Teilnehmenden dazu einladen sich auf Spurensuche zu begeben. Gemeinsam werden sie sich spielerisch mithilfe verschiedener Methoden den eigenen Geschichten nähern und diese erforschen, erzählen und befragen. Sie möchten die Teilnehmenden ermutigen ihren eigenen Ausdruck finden.
Bitte bringen Sie zu dem Workshop mindestens einen Gegenstand oder Fotografien mit, die für Sie als „Erinnerungsträger" Ihrer Familiengeschichte dienen. Diese sollte mit der NS-Zeit verbunden, doch nicht unbedingt in der Zeit hergestellt sein.
Aus Platzgründen bitten wir herzlich um Anmeldungen unter veranstaltung-sw(at)topographie.de oder 030-63902880
CfP: Die Gruppe der zivilen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in den Konzentrationslagern
Das 32. Arbeitstreffen der Gedenkstätte Ravensbrück nimmt in diesem Jahr gemeinsam mit dem Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit die Gruppe der zivilen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in den Konzentrationslagern in den Blick, die mit Kriegsverlauf eine signifikante Gruppe in den Lagern bildeten. Oftmals mit dem Vorwurf bedacht, sie seien nicht aus politischen Gründen inhaftiert und würden damit den roten Winkel der politischen Häftlinge zu Unrecht tragen – sind sie bis heute weder in der Forschung noch in der öffentlichen Erinnerung mit großer Aufmerksamkeit bedacht. Wenn Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wegen Verstößen gegen die vielfältigen Regeln und Gesetze, die ihren Aufenthalt im Deutschen Reich prägten, in ein Arbeitserziehungslager oder ein Konzentrationslager eingewiesen wurden, geschah dies vor allem aus Gründen der Disziplinierung. Sie sollten zunächst – anders als die meisten Inhaftierten – nach einer gewissen Zeit wieder in den Zwangsarbeitseinsatz integriert werden. Nach Kriegsende verstummten sie oftmals – oder sie teilten die Erinnerungen an die KZ-Haft, die sie anschlussfähig an die politisch geprägten Erzählungen der Nachkriegszeit machten.
Insbesondere die frühe Nachkriegsliteratur thematisiert noch die Differenzen zwischen den KZ-Häftlingen im Lager. Im Zuge stärker ausgeprägter Erzählungen ganzer Gruppenbiografien in den späteren Jahren geriet diese Haftgruppe jedoch in Vergessenheit.
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Das 32. Arbeitstreffen Ravensbrück möchte sich diesem Thema nähern und in bewährter Weise Forschende in diesem Bereich einladen, ihre Forschungsergebnisse und (Teil-)Projekte vorzustellen.
Gemeinsam fragen die Veranstaltenden nach den Gründen für die Überstellung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in Konzentrationslager, waren doch für deren Disziplinierung sog. Arbeiterziehungslager (AEL) vorgesehen. Gefragt wird nach den sozialen Verhältnissen, in denen sich diese Gruppen in den Lagern bewegten und der Entwicklung der Narrative in der Nachkriegszeit. In welchem Kontext werden Fotografien von Zwangsarbeitenden genutzt und wie werden sie im Kontext der historischen Forschung wahrgenommen? Unterscheiden sich private und öffentliche Erinnerung an zivile Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in den Lagern? Finden sich geschlechterspezifische Deutungen?
Das 32. Arbeitstreffen Ravensbrück / 2. Workshop zur Zwangsarbeitsforschung findet am 18./19. Oktober 2019 im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit Berlin statt. Die Beiträge verstehen sich als Annäherungen an ein wenig behandeltes Thema, so dass der gemeinsamen Diskussion viel Raum gegeben werden soll. Quellenfunde und offene Fragen sind willkommen.
Die Veranstaltenden bitten um kurze, prägnante Abstracts von höchstens einer Seite mit Vorschlägen für einen 20minütigen Beitrag. Wir bitten diesen bis zum 30. Juni 2019 an die Gedenkstätte Ravensbrück unter sprute@ravensbrueck.de an die Wissenschaftliche Volontärin Hannah Sprute zu senden. Für Rückfragen stehen Hannah Sprute für die Gedenkstätte Ravensbrück und Dr. Andrea Genest (genest@topographie.de) für das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit gern zur Verfügung.
Leider können die Veranstaltenden nicht für Fahrtkosten oder Aufwandsentschädigungen aufkommen.
CfP „Verbotener Umgang“: Zur Bedeutungsgeschichte eines NS-Straftatbestandes
2. Tagung in Kooperation der Gedenkstätten SS-Sonderlager Hinzert, Gedenkstätte Ravensbrück, Stiftung Gedenkstätte Buchenwald und Mittelbau Dora, Stiftung Gedenkstätte Lindenstraße und Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit
Während des Zweiten Weltkriegs waren aus kriegswirtschaftlichen Gründen etwa 10 Millionen so genannter fremdvölkischer Arbeitskräfte – Kriegsgefangene und Zivilarbeiter/innen – im Reichsgebiet eingesetzt. Dies stellte für den nationalsozialistischen Staat eine rassen- und sicherheitspolitische Herausforderung dar. Der nationalsozialistischen Programmatik lag das Ziel einer „homogenen Volksgemeinschaft“ zugrunde und die antisemitische Rassenpolitik der Definition, Kennzeichnung, Ausgrenzung und letztlich Ermordung des jüdischen Teils der deutschen Bevölkerung zielte auf ein „judenfreies Reich“. Mit der Inhaftierung und Deportation einer großen Zahl als „fremdvölkisch“ definierter, mit Kriegsverlauf nahezu rechtlos gestellter kriegsgefangener und ziviler Zwangsarbeiter/innen stellte sich das Problem der Homogenität jedoch erneut. Deshalb waren dem sozialen Umgang zwischen Deutschen und den ausländischen Arbeitskräften starke Reglementierungen gesetzt worden; insbesondere sexuelle Kontakte wurden bestraft. Gleichzeitig aber war der Einsatz ausländischer Arbeitskräfte Teil der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik unter Kriegsbedingungen.
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Die Kriminalisierung des sozialen Umgangs von Deutschen und „Fremdvölkischen“, der „verbotene Umgang“, ist also Ausdruck einer rassistischen wie geschlechterspezifischen Ungleichheitsideologie und damit für die Forschung über Definitionen von Zugehörigkeit, gesellschaftliche und politische Ausschlussmechanismen sowie Integrationsprozesse in einer längeren historischen Perspektive von Bedeutung.
Nach der ersten Tagung zur Geschichte und Nachgeschichte des „Umgangsverbots“ mit Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern im Nationalsozialismus im Oktober 2016 in der Gedenkstätte Ravensbrück soll das Thema nun in einer zweiten Fachkonferenz am 15./16. November 2019 in der Gedenkstätte SS-Sonderlager Hinzert vertieft werden. Neben notwendigen biografischen und lokalgeschichtlichen Ansätzen zielt die Tagung auf eine Systematisierung und Erfassung in einer breiteren, sozialhistorischen Perspektive.
Dafür sollen fünf Themenkomplexe berücksichtigt werden, die unter ideologischen, rassistischen, funktionalen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und juristischen Faktoren sowie Gender-Aspekten untersucht werden. Diese sollen in ihrem Zeitverlauf wie auch in Hinblick auf regionale Unterschiede herausgearbeitet werden. Die historischen Entwicklungen sollen damit nicht erst ab Kriegsbeginn dargestellt, sondern mit ihrer Vor- und Nachgeschichte kontextualisiert werden. Gleichzeitig ist zu fragen, wo angrenzende Themen berührt werden.
Wir laden zu Beiträgen zu folgenden Themenkomplexen und Fragestellungen ein:
Denunziation (Gesellschaft)
Welche Rolle spielten Denunziationen für Anschuldigungen aufgrund des Umgangsverbots?
Welche Motivlagen gab es für Denunzianten und welche Folgen hatten Denunziationen für diese?
Verfolgung aufgrund des Umgangsverbots (Polizei und Justiz)
Wie wurden die Beschuldigten verfolgt? Welche Unterschiede gab es in der Verfolgung mit Blick auf nationale Herkunft sowie auf das Geschlecht? Wie entwickelte sich die Verfolgungspraxis im Verlauf des Krieges? Wie ging die Öffentlichkeit mit Menschen am Pranger oder sog. Haarscheraktionen um?
Kinder, die aus unerlaubten Beziehungen entstanden
Wie wurde mit den Kindern ausländischer Frauen umgegangen, wie mit denen deutscher Frauen?
Institutionelle und gesellschaftliche Aufarbeitung: Anerkennung und Entschädigung
Spielten Fälle geahndeten „verbotenen Umgangs“ eine Rolle in Anerkennungs- und Entschädigungsverfahren? Lassen sich Veränderungen in den unterschiedlichen zeitlichen Phasen feststellen?
Erinnerungskultur
In welcher Weise wurde und wird das Thema in künstlerischer und erinnerungspolitischer Form aufgegriffen? Welche literarischen Texte widmen sich dem Thema? Ist das Thema des „Verbotenen Umgangs“ in künstlerischen Formen angesprochen worden? Sind spezifische Gedenkzeichen sind bekannt?
Bitte senden Sie Ihr Exposé von etwa einer halben Seite zu einem der fünf genannten oder angrenzenden Themen bis zum 31. Mai 2019 per E-mail an Dr. Beate Welter, Leiterin der Gedenkstätte SS-Sonderlager/KZ Hinzert: Beate.Welter(at)gedenkstaette-hinzert-rlp.de
International Winter School 2019
Wir freuen uns, in diesem Jahr zum zweiten Mal Gastgeber für die Internationale Winter School gemeinsam mit dem ITS Bad Arolsen sein zu dürfen.
Vom 10. bis zum 16. Februar treffen sich hier im Dokumentationszentrum 15 Nachwuchspädagog*innen aus Polen, den Niederlanden, Österreich, Ukraine, Rumänien, Portugal, Griechenland, Spanien, Bosnien-Herzegowina, Serbien und Deutschland, die sich über die Didaktik und Methodik der pädagogischen Vermittlung des Themas NS-Zwangsarbeit sowie die Aufarbeitung der Thematik im Nachkriegseuropa aus transnationaler Perspektive austauschen können. Im Mittelpunkt stehen dabei „zivile“ und jüdische Zwangsarbeiter*innen in Nazi-Deutschland.
Im Rahmen der Winterschule werden zudem der Dokumentenbestand des ITS in Bezug auf Zwangsarbeit vorgestellt und Möglichkeiten diskutiert, wie Pädagog*innen mit diesen Dokumenten arbeiten können.
Damit es nicht bei Papier bleibt, freuen wir uns besonders, dass sich Vera Friedländer, Zeitzeugin aus Berlin, bereit erklärt hat, mit den Teilnehmenden ins Gespräch zu kommen.
Gedenkstätten zur Erinnerung an die NS-Verbrechen in Deutschland rufen auf zur Verteidigung der Demokratie
Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer nationalsozialistischer Gewalt nehmen als Orte der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit einer verbrecherischen Vergangenheit eine wichtige Bildungsaufgabe für die Gegenwart wahr. Ihre Arbeit folgt der aus den Erfahrungen des Nationalsozialismus gewonnenen Verpflichtung unserer Verfassung: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ (Art.1GG).
Lernen aus der Geschichte der NS-Verbrechen heißt auch Warnzeichen rechtzeitig zu erkennen, wenn eine nachhaltige Schwächung unserer offenen Gesellschaft droht. Wir wissen aus der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts, dass Demokratien mit Standards wie dem Grundgesetz, den europäisch und international verankerten Menschenrechten, Minderheitenschutz, Gleichheit aller Menschen vor dem Recht, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung mühsam erkämpft wurden und fortdauernd geschützt und ausgestaltet werden müssen.
Immer offener etablieren sich in der Gesellschaft Haltungen, Meinungen und Sprechgewohnheiten, die eine Abkehr von den grundlegenden Lehren aus der NS-Vergangenheit befürchten lassen. Wir stellen mit Sorge fest:
- ein Erstarken rechtspopulistischer und autoritär-nationalistischer Bewegungen und Parteien,
- eine verbreitete Abwehr gegenüber Menschen in Not sowie die Infragestellung und Aufweichung des Rechts auf Asyl,
- Angriffe auf Grund- und Menschenrechte,
- die Zunahme von Rassismus, Antisemitismus und anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit,
- eine damit einhergehende Abwertung von Demokratie und Vielfalt.
Hinzu kommt ein öffentlich artikulierter Geschichtsrevisionismus, der die Bedeutung des Erinnerns an die Verbrechen des Nationalsozialismus als grundlegende Orientierung der deutschen Gesellschaft in der Gegenwart angreift und durch ein nationalistisches Selbstbild ersetzen möchte.
Diesen aktuellen Entwicklungen treten wir mit unserer täglichen Arbeit in der historisch-politischen Bildung entgegen. Aber sie erfordern darüber hinaus politisches und bürgerschaftliches Handeln. Wir appellieren daher an die Akteure in Politik und Gesellschaft, das Wissen um die historischen Erfahrungen mit ausgrenzenden Gesellschaften wie dem Nationalsozialismus für die Gegenwart zu bewahren und sich für die Verteidigung der universell geltenden Grund- und Menschenrechten einzusetzen.
Verabschiedet von der 7. Bundesweiten Gedenkstättenkonferenz am 13.12.2018