Kleidung – enthielt Spuren von Zwangsarbeit

Socken fertigen, Wäsche nähen, Schuhe besohlen ‒ für Tausende Menschen, die während des Zweiten Weltkriegs im Deutschen Reich Zwangsarbeit verrichten mussten, gehörten solche Tätigkeiten zum Alltag. Zugleich diente Kleidung in der NS-Zeit dazu, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zu stigmatisieren.

Zwangsarbeit war in der deutschen Textilindustrie weit verbreitet: Mehrere Tausend Firmen setzten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ein. Darunter viele kleine Hersteller, die es nicht mehr gibt, aber auch Bekleidungs- und Schuhmarken, die noch heute bekannt sind, wie C&A, Hugo Boss oder Salamander.

Die damals 16-jährige Vera Friedländer arbeitete im Winter 1944/45 in einem Reparaturbetrieb von Salamander in Berlin-Kreuzberg. Dort musste sie gebrauchte Schuhe sortieren und die Nähte kontrollieren. Später fand sie heraus, dass die Schuhe Menschen gehörten, die im Vernichtungslager Auschwitz und in anderen Lagern ermordet worden waren.

Vera Friedländer erinnert sich: „Ich musste die Schuhe in die Hand nehmen, den Schaden bestimmen und die Paare in andere Karren umsortieren: zum Steppen, zum Kleben, zum Besohlen und so weiter. Wenn ein Karren voll war, schob ich ihn dorthin, wo gesteppt, geklebt oder genagelt wurde. Die Karren rollten schwer. (…) Sie [die Aufseher waren SS-Leute] wachten darüber, dass wir nichts anderes taten als arbeiten. Wir, das waren polnische Schuster, Frauen aus Serbien, französische Arbeiter, jüdische Frauen, Mädchen wie Hannchen und ich.“

Einige Unternehmen der Textilindustrie begannen Ende 1942 damit, besonders einfache Kleidung speziell für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter herzustellen, vor allem Oberbekleidung und Unterwäsche, aber auch Schuhe aus Holz. Solche Holzschuhe mussten zum Beispiel Frauen wie Janina Łyś, eine polnische Zwangsarbeiterin bei Pertrix in Berlin, tragen: „Lederschuhe hatte keiner an, denn sie hätten nach drei Monaten auseinanderfallen müssen, es gab nur Holzschuhe.“ Diese Schuhe waren unbequem, man konnte schlecht darin laufen und die Füße entzündeten sich.

Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter mussten aber nicht nur Kleidung nähen, sondern wurden auch über Kleidung stigmatisiert. In Konzentrationslagern (KZ) wurden sie gezwungen, gestreifte Häftlingskleidung zu tragen, die sie im SS-eigenen Unternehmen „Deutsche Gesellschaft für Textil- und Lederverarbeitung mbH“ in Dachau und Ravensbrück selbst fertigen mussten.

Auch außerhalb der KZs wurden Menschen nach der rassistischen NS-Ideologie über Kennzeichen an der Kleidung markiert. Jüdinnen und Juden hatten, wenn sie älter als sechs Jahre alt waren, ab September 1941 einen „Judenstern“ zu tragen. Alle, die aus Polen und der Sowjetunion zur zivilen Zwangsarbeit ins Deutsche Reich verschleppt wurden, mussten sich ein Stück Stoff mit einem „P“- oder auch „OST“- Abzeichen an die Kleidung nähen. Nur zivile Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Westeuropa, die in der rassistischen NS-Hierarchie höher eingestuft waren, blieben davon verschont ‒ sie brauchten keine Abzeichen zu tragen.

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Zahlen

Etwa 26 Millionen Menschen aus fast ganz Europa mussten während des Zweiten Weltkriegs im Deutschen Reich und in den besetzten Gebieten für den NS-Staat arbeiten. Darunter waren Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge. Die größte Gruppe bildeten die rund 8,4 Millionen ins Reich verschleppten Zivilarbeiterinnen und Zivilarbeiter: Männer, Frauen und Kinder aus den besetzten Gebieten Europas.

Viele arbeiteten in der Textil- und Bekleidungsindustrie ebenso wie in der Leder- und Schuhproduktion. Die SS unterhielt mit der „Deutschen Gesellschaft für Textil- und Lederverarbeitung mbH“ sogar ein eigenes Unternehmen, in dem KZ-Häftlinge Zwangsarbeit verrichten mussten. Da es bisher keine wissenschaftliche Gesamtdarstellung der Branche gibt, ist nicht bekannt, wie viele Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter insgesamt in der Textilindustrie tätig waren.

Gegenwart

Zwangsarbeit ist keineswegs ein längst vergangenes Unrecht. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen (UN) sind auch heute noch mehr als 40 Millionen Menschen Opfer von modernen Formen der Sklaverei. 29 Millionen sind Frauen und Kinder. Ein großer Teil von ihnen wird in der Textilindustrie eingesetzt. Immer wieder gab es in den vergangenen Jahren Meldungen über Unternehmen, die – auch in Deutschland – mithilfe von Zwangsarbeit produzierte Kleidung und Schuhe verkaufen.

Andrew Forrest, Gründer der Walk-Free-Stiftung, die eng mit den Vereinten Nationen zusammenarbeitet, sagt dazu: „Die Tatsache, dass sich immer noch 40 Millionen Menschen jeden Tag in moderner Sklaverei befinden, sollte uns die Schamesröte ins Gesicht treiben. Moderne Sklaverei betrifft Kinder, Frauen und Männer weltweit. Dies dokumentiert die tief greifende Diskriminierung und Ungleichheit in der Welt, gepaart mit einer schockierenden Toleranz für Ausbeutung. Wir müssen das stoppen. Wir alle können dazu beitragen, diese Realität zu ändern – in der Geschäftswelt, Regierung, Zivilgesellschaft und als Einzelner.“