Bier – enthielt Spuren von Zwangsarbeit

Als „Getränk der kleinen Leute“ gehörte Bier auch während des Krieges zum Alltag. Die Produktion stieg sogar an, obwohl es den Brauereien immer häufiger an männlichen Arbeitskräften mangelte. Möglich war das nur durch den Einsatz von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern.

Kein Wirtshaus, kein Restaurant, kein Ausflugslokal ohne Bierausschank – der größte Abnehmer war jedoch die Wehrmacht. Um den immensen Bedarf an Bier im Zweiten Weltkrieg zu decken, wurden Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zu Tausenden in deutschen Brauereien eingesetzt: bei der Getreide- und Hopfenernte, beim Transport, in Mälzereien und Böttchereien, in der Flaschenproduktion und den Abfüllstationen, beim Herstellen der Flaschenkisten und bei der Auslieferung.

Als ab 1939 viele Güter kriegsbedingt knapp wurden, mussten die Brauereien ihre Rezepturen ändern. Viele der meist männlichen Arbeiter wurden nach und nach zur Wehrmacht eingezogen, die Mitarbeiterzahlen sanken. Um weiter ausreichend produzieren zu können, mussten andere Produktionshelfer her. Das waren vor allem deutsche Frauen, aber auch Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, deren Arbeitskraft sich schonungslos nutzen ließ.

Der italienische Militärinternierte Cesarino Taccioli erinnert sich: „In den letzten Kriegsmonaten waren wir länger bei der Brauerei Engelhardt in Alt-Stralau beschäftigt. Wir haben dort Flaschen gewaschen und dem Werkstischler geholfen, die bei den Bombenangriffen zerstörten Fenster mit Holzlatten zu vernageln. Nach einem Angriff mussten wir Trümmer wegräumen. Ich war furchtbar erschöpft und bin auf eine Schaufel gestützt eingeschlafen. Ein Ingenieur ‚erwischte‘ mich und trat mir in den Hintern, so dass ich auf die Trümmer flog.“

Die Brauerei Engelhardt, gegründet vom jüdischen Geschäftsmann Ignatz Nacher, war während des Krieges eine der größten von rund 100 Brauereien im damaligen Berlin. 1934 wurde sie „arisiert“, der Firmengründer praktisch enteignet. Auf der Halbinsel Alt-Stralau, wo Cesarino Taccioli arbeiten musste, befand sich die Abfüllanlage der Engelhardt-Brauerei.

Noch größer und bekannter war schon damals die Schultheiss-Brauerei. Sie braute an drei Standorten: in Prenzlauer Berg, heute bekannt als Kulturbrauerei, in der Kreuzberger Fidicinstraße und in Schöneweide in der Schnellerstraße. Als NS-Musterbetrieb produzierte Schultheiss – schon vor dem Krieg – Bier für den Wehrmachtsbedarf.

Am Schultheiss-Standort Prenzlauer Berg wurden ab 1941 nachweislich französische und polnische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter und ab 1943 italienische Militärinternierte eingesetzt. Untergebracht waren sie in einem Stall auf dem Brauereigelände. Auch am Standort Schöneweide waren Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in der Bierproduktion tätig, vermutlich waren es hier italienische Militärinternierte.

Die Bierproduktion war aber auch andernorts im damaligen Deutschen Reich eng mit dem Schicksal von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern verbunden. Bei der Brauerei Sternburg in Leipzig zum Beispiel waren während des Krieges 13 Prozent der Gesamtbelegschaft Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Hier und anderswo fand die Zwangsarbeit nicht nur hinter hohen Mauern statt, sondern war – etwa bei der Auslieferung oder beim Abladen der Fässer – für jede und jeden im Alltag sichtbar.

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Zahlen

Etwa 26 Millionen Menschen aus fast ganz Europa mussten während des Zweiten Weltkriegs im Deutschen Reich und in den besetzten Gebieten für den NS-Staat arbeiten. Darunter waren Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge. Die größte Gruppe bildeten die rund 8,4 Millionen ins damalige Deutsche Reich verschleppten Zivilarbeiterinnen und Zivilarbeiter: Männer, Frauen und Kinder aus den besetzten Gebieten Europas.

Wie viele von ihnen in Brauereien eingesetzt wurden, ist schwer zu sagen. Eine wissenschaftliche Gesamtdarstellung dazu gibt es nicht. Es ist jedoch davon auszugehen, dass in nahezu allen Brauereien während des Zweiten Weltkriegs Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter eingesetzt wurden ‒ wie übrigens in der gesamten Nahrungs- und Genussmittelindustrie.

Gegenwart

Zwangsarbeit ist keineswegs ein längst vergangenes Unrecht. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen (UN) sind auch heute noch mehr als 40 Millionen Menschen Opfer von modernen Formen der Sklaverei. 29 Millionen sind Frauen und Kinder. Ein großer Teil von ihnen wird in der Lebensmittelindustrie eingesetzt.

Andrew Forrest, Gründer der Walk-Free-Stiftung, die eng mit den Vereinten Nationen zusammenarbeitet, sagt dazu: „Die Tatsache, dass sich immer noch 40 Millionen Menschen jeden Tag in moderner Sklaverei befinden, sollte uns die Schamesröte ins Gesicht treiben. Moderne Sklaverei betrifft Kinder, Frauen und Männer weltweit. Dies dokumentiert die tief greifende Diskriminierung und Ungleichheit in der Welt, gepaart mit einer schockierenden Toleranz für Ausbeutung. Wir müssen das stoppen. Wir alle können dazu beitragen, diese Realität zu ändern – in der Geschäftswelt, Regierung, Zivilgesellschaft und als Einzelner.“