Brot – enthielt Spuren von Zwangsarbeit
Brot hatte für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter während des Zweiten Weltkriegs eine grundlegende Bedeutung: Es wurde in Rationen zugeteilt, oft vermisst, miteinander geteilt und auch gestohlen. Brot bestimmt außerdem den Arbeitsalltag Tausender, die in Bäckereien Zwangsarbeit verrichteten.
In Berichten von Zeitzeugen spielt Brot immer wieder eine zentrale Rolle, meist im Zusammenhang mit mangelhafter Verpflegung. So erinnert sich Jolanta J.: „Und der Hunger war schrecklich. Wir bekamen nur verschimmeltes Brot. Weil sie uns den Vorrat für eine ganze Woche gaben.“
Aber auch als Zeichen gegenseitiger Hilfe ist Brot in den Erinnerungen von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern präsent. Der Ukrainer Iwan S. berichtet über eine Sammelunterkunft in Berlin-Mitte: „Aber die besten im Lager waren [die] Franzosen. Seelensgute. Das beste Volk, so schien es uns. Sie teilten das letzte Brotkrümel. Die anderen nicht.“
Die Versorgung der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter mit Brot wurde streng nach Geschlecht, Gruppenzugehörigkeit und Nationalität geregelt. Oftmals waren die Rationen spärlich, wie aus einem Bericht von Gotthold Starke, Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, hervorgeht: „Morgens einen halben Liter Kohlrübensuppe. Mittags, im Betrieb, einen Liter Kohlrübensuppe. Abends einen Liter Kohlrübensuppe. Zusätzlich erhält der Ostarbeiter 300 Gramm Brot täglich. Hinzu kommen wöchentlich 50–75g Margarine, 25g Fleisch oder Fleischwaren, die je nach der Willkür der Lagerführer verteilt oder vorenthalten werden.“
Der Bericht stammt von 1943 und beschreibt die Essensrationen für die „Ostarbeiter“, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion. Gotthold Starke prangerte darin die unzureichende Versorgung in den Sammellagern an, allerdings weniger aus Mitmenschlichkeit als aus Sorge um die Sicherheit im Deutschen Reich. Die mangelhafte Verpflegung berge die Gefahr, dass hungernde Arbeiter zu stehlen beginnen würden, dass sie revoltierten und sich der kommunistischen Ideologie zuwenden könnten.
Welche Bedeutung Brot für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter hatte, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass Backwaren ein häufig wiederkehrendes Fotomotiv in dieser Zeit waren. Als Erinnerungsfoto oder für ihre Familien daheim nahmen sich Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter gegenseitig auf – in ihren Stuben, vor den Unterkünften oder auch bei Ausflügen. Nicht selten finden sich Fotografien, auf denen die Menschen ganze Brotlaibe im Arm halten.
Brot war für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aber nicht nur ein wichtiges Lebensmittel, sondern oft auch Gegenstand ihres Arbeitsalltags. In Berlin arbeiteten viele der rund 500.000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Bäckereien. Allein für den Bezirk Prenzlauer Berg sind zehn Bäckereien und Cafés bekannt, in denen sie eingesetzt waren. Teilweise wohnten sie sogar an derselben Adresse. Zwangsarbeit geschah hier also täglich vor den Augen der Nachbarn.
Einer dieser Betriebe war die Großbäckerei August Wittler, die seit den 1920er-Jahren zu den größten Brotfabriken Europas gehörte. Durch maschinelle Fertigung, eine vollautomatische Backstraße, Haltbarkeitsverfahren und eine speziell an den Kriegsbedarf angepasste Produktion avancierte die Fabrik in der Weddinger Maxstraße zum nationalsozialistischen Musterbetrieb. 1944 bestand die Belegschaft von insgesamt 1.840 Beschäftigten zu etwa zwei Dritteln aus Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, das waren etwa 1.227 Menschen.
Neben der Produktion von Weißbroten, Zwieback und Steinmetzbrot buk die Brotfabrik August Wittler das sogenannte Kommissbrot, das besonders nahrhaft und haltbar und damit gut geeignet für die Versorgung von Soldaten war. Zwangsarbeiter wie der Ukrainer Iwan S., der bei der Firma Wittler eingesetzt war, konnten davon nur schwärmen:
„Wir wollten mal das Brot fürs Militär sehen, sehr gut sollte es sein. Dieses Brot sollte fünf, sechs Jahre halten, im Wasser, unter der Erde, auf der Erde – es verfault nicht. Bei uns gab man den Soldaten Zwieback, hier in Deutschland dagegen dieses Brot. Dünne Scheiben. Aber unsere Jungs schlichen sich ein und baten die deutschen Frauen, mal zu kosten. Schwarz wie die Kohle. Aber lecker! Es wird nicht faulig. Und sättigt. Eine Scheibe mit Kaffee – den ganzen Tag hat man kein Hunger.“
Das Kommissbrot bescherte der Bäckerei enormen Erfolg. Die Wehrmacht wurde zum Großabnehmer, 1936 war Wittler exklusiver Lieferant der Olympischen Spiele in Berlin.
Zahlen
Etwa 26 Millionen Menschen aus fast ganz Europa mussten während des Zweiten Weltkriegs im Deutschen Reich und in den besetzten Gebieten für den NS-Staat arbeiten. Darunter waren Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge. Die größte Gruppe bildeten die rund 8,4 Millionen ins damalige Deutsche Reich verschleppten Zivilarbeiterinnen und Zivilarbeiter: Männer, Frauen und Kinder aus den besetzten Gebieten Europas.
Zahlen zum Einsatz von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in den Bäckereien des Deutschen Reichs während des Zweiten Weltkriegs liegen bisher nicht vor, da es keine umfassende Darstellung dazu gibt.
Gegenwart
Zwangsarbeit ist keineswegs ein längst vergangenes Unrecht. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen (UN) sind auch heute noch mehr als 40 Millionen Menschen Opfer von modernen Formen der Sklaverei. 29 Millionen sind Frauen und Kinder. Ein großer Teil von ihnen wird in der Lebensmittelindustrie eingesetzt.
Andrew Forrest, Gründer der Walk-Free-Stiftung, die eng mit den Vereinten Nationen zusammenarbeitet, sagt dazu: „Die Tatsache, dass sich immer noch 40 Millionen Menschen jeden Tag in moderner Sklaverei befinden, sollte uns die Schamesröte ins Gesicht treiben. Moderne Sklaverei betrifft Kinder, Frauen und Männer weltweit. Dies dokumentiert die tief greifende Diskriminierung und Ungleichheit in der Welt, gepaart mit einer schockierenden Toleranz für Ausbeutung. Wir müssen das stoppen. Wir alle können dazu beitragen diese Realität zu ändern – in der Geschäftswelt, Regierung, Zivilgesellschaft und als Einzelner.“