Schokolade – enthielt Spuren von Zwangsarbeit
Schokolade galt während des Zweiten Weltkriegs als Luxusartikel. Wie andere Süßwaren auch durfte sie nur eingeschränkt produziert werden. Einzelne Hersteller profitierten dennoch vom Krieg, weil sie die Wehrmacht versorgten – zum Beispiel die Firma Sarotti.
Die Firma Sarotti wurde 1852 in Berlin gegründet. Anfang der 1920er-Jahre war Sarotti die größte Schokoladenfabrik weltweit – und der „Sarotti-Mohr“ eine der bekanntesten Werbefiguren.
Der Zweite Weltkrieg stellte alle Süßwarenhersteller vor eine große Herausforderung, denn ihre Produkte galten nicht als „kriegswichtig“. Die Schokoladenproduktion wurde ab 1939 stark eingeschränkt, ab September 1942 war die Verarbeitung von Rohkakao ganz verboten. Ab Januar 1944 war jegliche Süßwarenproduktion untersagt – abgesehen von staatlichen Aufträgen. Insgesamt mussten 339 von 400 Betrieben der deutschen Süßwarenindustrie ihre Produktion einstellen.
Auch Sarotti stoppte im April 1943 die Herstellung von Süßwaren für den zivilen Bedarf, konnte jedoch eine Stilllegung des Betriebs verhindern. Dabei profitierte die Geschäftsführung von der eingespielten Zusammenarbeit mit den NS-Behörden. So konnte sich Sarotti gegen andere Hersteller durchsetzen und Süßwaren nun für die Wehrmacht produzieren.
Viele Firmen der Konsumgüterindustrie mussten während des Krieges Arbeitskräfte und Produktionskapazitäten an Unternehmen abtreten, die Rüstungsgüter herstellten. Das galt auch für Sarotti. Die Firma musste einen kleinen Teil ihrer Räume für die Produktion von Elektronenröhren und Kabelbäumen freiräumen. Im Sommer 1941 gab sie 430 Männer und Frauen aus dem Berliner Werk in Tempelhof an die Rüstungsindustrie ab. Ersetzt wurden diese unter anderem durch Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Polen und Tschechien, später auch aus der Sowjetunion.
Einer von ihnen war der Pole Stefan L., der bei Sarotti von November 1942 bis Kriegsende als Zwangsarbeiter eingesetzt wurde. Viele Jahre später erinnert er sich, dass ihm sein Arbeitseinsatz bei Sarotti „wie im Paradies“ vorkam, nachdem er zuvor drei Monate in einem „Arbeitserziehungslager“ der Gestapo in Berlin-Wuhlheide unter extremen Bedingungen arbeiten musste. Er berichtet zwar von schwerer Arbeit bei Sarotti, aber auch über die gute Behandlung und das ausreichende Essen. Produziert wurden Bonbons, Schokolade, Kekse, verpackt in Pakete für die Soldaten der Wehrmacht an der Ostfront, für U-Boot-Besatzungen und Fallschirmjäger.
Stefan L. arbeitete in der Küche und später beim Be- und Entladen der Schiffe, die über den Teltowkanal Güter wie Kohle, Zucker, Kakao und Mehl brachten. Die Arbeitszeit betrug bis zu 12 Stunden pro Tag.
Untergebracht wurden die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zum Teil in Lagern, die Sarotti selbst betrieb. Eines lag in der Teilestraße unweit des Flughafens Tempelhof, ein anderes auf der Invalidenstraße in Berlin-Mitte, also mitten im alltäglichen Leben der Berliner Bevölkerung.
Aus dem Lager in Tempelhof ist vom April 1944 der Tod einer 20-jährigen Ukrainerin vermerkt, die Todesursache: „Selbstmord durch Erhängen“.
Zahlen
Etwa 26 Millionen Menschen aus fast ganz Europa mussten während des Zweiten Weltkriegs im Deutschen Reich und in den besetzten Gebieten für den NS-Staat arbeiten. Darunter waren Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge. Die größte Gruppe bildeten die rund 8,4 Millionen ins damalige Deutsche Reich verschleppten Zivilarbeiterinnen und Zivilarbeiter: Männer, Frauen und Kinder aus den besetzten Gebieten Europas.
Während des Krieges erlebte die Lebensmittelindustrie einen Aufschwung. Ausgenommen waren Luxusgüter. Nur Firmen, die im staatlichen Auftrag arbeiteten, durften die Produktion fortsetzen. Im Dezember 1943 bestand die Belegschaft bei Sarotti zu 19,2 Prozent aus Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern. Das entspricht in etwa der durchschnittlichen Quote in der gesamten deutschen Industrie.
Gegenwart
Zwangsarbeit ist keineswegs ein längst vergangenes Unrecht. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen (UN) sind auch heute noch mehr als 40 Millionen Menschen Opfer von modernen Formen der Sklaverei. 29 Millionen sind Frauen und Kinder. Ein großer Teil von ihnen wird in der Süßwarenindustrie eingesetzt.
Andrew Forrest, Gründer der Walk-Free-Stiftung, die eng mit den Vereinten Nationen zusammenarbeitet, sagt dazu: „Die Tatsache, dass sich immer noch 40 Millionen Menschen jeden Tag in moderner Sklaverei befinden, sollte uns die Schamesröte ins Gesicht treiben. Moderne Sklaverei betrifft Kinder, Frauen und Männer weltweit. Dies dokumentiert die tief greifende Diskriminierung und Ungleichheit in der Welt, gepaart mit einer schockierenden Toleranz für Ausbeutung. Wir müssen das stoppen. Wir alle können dazu beitragen, diese Realität zu ändern – in der Geschäftswelt, Regierung, Zivilgesellschaft und als Einzelner.“