Kartoffeln – enthielten Spuren von Zwangsarbeit
Die Kartoffel war eines der Grundnahrungsmittel in der Kriegszeit. Geerntet wurde sie oft von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern. Mehr noch: Ohne deren Einsatz in der Landwirtschaft wäre die Ernährung der Bevölkerung nicht aufrechtzuerhalten gewesen.
Die Landwirtschaft war der erste Sektor, in dem nach Beginn des Zweiten Weltkriegs Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter eingesetzt wurden – gegen Kriegsende lag die Arbeit auf dem Land fast zur Hälfte in ihren Händen.
Anders als in der Industrieproduktion ließ sich der Kontakt zwischen den Arbeitgebern und den Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in der Landwirtschaft kaum vermeiden, alle saßen buchstäblich an einem Tisch. Für die Arbeitskräfte hatte diese erzwungene Gemeinschaft Vor- und Nachteile. Hier wurden sie nicht in Lagern untergebracht, sondern wohnten auf den Höfen, im Haus oder in Stallgebäuden. Das bedeutete aber auch, dass Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ihren Arbeitgebern uneingeschränkt ausgeliefert waren.
Die Arbeit in der Landwirtschaft verlangte den Menschen viel ab. Sie war körperlich sehr anstrengend. Oft wurde über 16 Stunden gearbeitet, sieben Tage die Woche. Władysława Ossowska, die seit Kriegsbeginn 1939 Zwangsarbeit auf verschiedenen Höfen in Ostpreußen und Brandenburg leisten musste, erinnert sich: „Wir arbeiteten bei den Deutschen vom Morgengrauen bis zum späten Abend, vom Frühlingsanfang fast bis zum Jahresende.“ Der Witterung waren die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter meist schutzlos ausgeliefert. Ob sie gut versorgt wurden, hing von der Gunst der Arbeitgeber ab.
Für die NS-Machthaber hatte die Versorgung der Deutschen oberste Priorität. Deshalb nahmen sie in Kauf, dass die verordnete Rassentrennung in den bäuerlichen Betrieben kaum eingehalten und von vielen Bauern auch nicht angestrebt wurde. Der Umgang der Landwirte mit den Hilfskräften war meist pragmatisch. Beide Seiten waren sich bewusst, dass sie mit ihrer Arbeitskraft sich selbst und andere ernährten.
Hinzu kam, dass männliche Zwangsarbeiter, darunter auch Jugendliche, oft die einzigen Männer auf den Bauernhöfen waren und den Betrieb nicht selten leiteten. Aus ideologischen Gründen wurde die Zwangsarbeit in der Landwirtschaft zwar immer wieder scharf kritisiert, denn in der NS-Ideologie konnte der Boden nur dem Volk gehören, das ihn bewirtschaftete. In der Realität waren es aber zum großen Teil ausländische Arbeitskräfte, die das Vieh versorgten und das Land bestellten.
Zahlen
Etwa 26 Millionen Menschen aus fast ganz Europa mussten während des Zweiten Weltkriegs im Deutschen Reich und in den besetzten Gebieten für den NS-Staat arbeiten. Darunter waren Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge. Die größte Gruppe bildeten die rund 8,4 Millionen ins damalige Deutsche Reich verschleppten Zivilarbeiterinnen und Zivilarbeiter: Männer, Frauen und Kinder aus den besetzten Gebieten Europas.
Die Landwirtschaft sicherte nicht nur der Bevölkerung das Überleben. Eine gute Versorgung trug auch dazu bei, die Machtverhältnisse zu stabilisieren. Deshalb setzten die NS-Machthaber sofort nach dem Überfall auf Polen 1939 polnische Kriegsgefangene in der Landarbeit ein, später kamen französische Kriegsgefangene hinzu.
Auch gut ein Drittel (36 Prozent) der zivilen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter war in der Landwirtschaft tätig, insgesamt mehr als drei Millionen. Darunter waren vor allem Menschen aus Polen und der Sowjetunion, viele Frauen und Kinder. 1943 wurde fast die Hälfte der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in die Landwirtschaft geschickt ‒ 1944 stellten sie fast 50 Prozent aller Arbeitskräfte auf dem Land.
In Berlin wurden ab Ende 1939 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft eingesetzt, zum Beispiel auf den 164 Höfen und Viehmästereien, die es allein in Hohenschönhausen, Falkenberg, Malchow und Wartenberg gab.
Gegenwart
Zwangsarbeit ist keineswegs ein längst vergangenes Unrecht. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen (UN) sind auch heute noch mehr als 40 Millionen Menschen Opfer von modernen Formen der Sklaverei. 29 Millionen sind Frauen und Kinder. Ein großer Teil von ihnen wird in der Landwirtschaft eingesetzt.
Andrew Forrest, Gründer der Walk-Free-Stiftung, die eng mit den Vereinten Nationen zusammenarbeitet, sagt dazu: „Die Tatsache, dass sich immer noch 40 Millionen Menschen jeden Tag in moderner Sklaverei befinden, sollte uns die Schamesröte ins Gesicht treiben. Moderne Sklaverei betrifft Kinder, Frauen und Männer weltweit. Dies dokumentiert die tief greifende Diskriminierung und Ungleichheit in der Welt, gepaart mit einer schockierenden Toleranz für Ausbeutung. Wir müssen das stoppen. Wir alle können dazu beitragen, diese Realität zu ändern – in der Geschäftswelt, Regierung, Zivilgesellschaft und als Einzelner.“